Eiskalter Wahnsinn
dass man ihn vermutlich nicht mehr ertasten konnte.
Sie machte sich Mut, indem sie sich einredete, ausreichend Zeit zu haben, bis man sie fand. Aber wer würde überhaupt nach ihr suchen? Außer Simon wusste nur Luc Racine, dass sie hier war. Würde er sie suchen kommen, wenn sie nicht zum Wagen zurückkehrte? Würde er nach Hilfe telefonieren? Aber wie sollte er das mit einem fast leeren Akku? Andererseits half ihm vielleicht auch ein intaktes Handy nicht, wenn er in einem verwirrten Moment nicht mehr wusste, wo sie sich warum befanden.
Allmählich beschlich sie Panik. Sie widerstand dem Drang, die Fäuste gegen die Wände der Kühltruhe zu stemmen, und beruhigte sich nun mit dem Gedanken, Panik sei gut. Erst wenn sie keine Angst mehr hatte, musste sie anfangen, sich Sorgen zu machen. Allerdings war ihr zu dem Zeitpunkt dann vermutlich alles egal.
Um ihr Gehirn zu beschäftigen, versuchte sie sich wieder auf die Liste zu erwartender Symptome zu konzentrieren.
Was gab es da sonst noch? Ach ja, der Sauerstoffmangel würde Halluzinationen auslösen, die visueller oder akustischer Natur sein konnten. Vielleicht sah sie Menschen, die sie retten wollten, obwohl niemand da war. Sie hörte vielleicht jemanden ihren Namen rufen oder mit ihr reden, doch das spielte sich alles nur in ihrem Gehirn ab.
Dann kam ein plötzliches und extremes Hitzegefühl. Ja, nach der Kälte kam die Hitze. Eine der grausamen Paradoxien heftiger Unterkühlung. Angeblich war es ein brennendes Gefühl, das Menschen veranlasste, sich die Kleidung vom Leib zu reißen und an ihrer Haut zu zerren. Damit würde sie kein Problem haben. Es war so eng hier drin, dass sie weder das eine noch das andere tun konnte. Ironischerweise war die Hitze das Letzte, woran sich die Opfer erinnerten, ehe sie bewusstlos wurden. Vorausgesetzt, sie wurden gerettet und konnten später darüber berichten.
Schließlich schützte sich das Gehirn durch Amnesie. Vielleicht war das die letzte Verteidigungsmaßnahme des Körpers, eine Art Gnade, die Erinnerung an Schmerz und Kälte durch schlichte Leere zu ersetzen.
Sie spürte ihre Muskeln allmählich steif werden und vom Zittern schmerzen. Sie versuchte an Wärme zu denken. Vielleicht hatte Gwen Recht, vielleicht brauchte sie wirklich Urlaub. Sie versuchte sich einen Strand vorzustellen, heißen Sand zwischen den Zehen, die Sonne brannte ihr auf die Haut, und warme Wellen umspülten sie. Und wenn sie nicht am Strand war, dann saß sie vielleicht in eine dicke Decke gemummelt vor einem prasselnden Kaminfeuer, einen Becher mit heißer Schokolade zwischen den Händen. Es war so warm, sie könnte sich zusammenrollen und … und schlafen.
Sie war so erschöpft. Ja, schlafen war gut. Sie würde einfach die Augen schließen. Sie spürte ihre Atmung langsamer gehen und flacher werden. Ihre Hände schmerzten nicht mehr, oder sie konnte die Schmerzen nicht mehr spüren. Ihre Panik ließ nach und verschwand allmählich ganz. Sie war so entsetzlich müde und erschöpft. Sie würde jetzt die Augen schließen, nur für eine Minute. Es war so schön dunkel und ruhig.
Ja, sie musste die Augen schließen und schlafen. Im warmen Sonnenschein einschlafen. Sie konnte die Wellen plätschern und die Möwen schreien hören. Von irgendwo in ihrem nicht mehr voll funktionsfähigen Hirn kam jedoch eine leise, aber beharrliche Warnung, die Augen nicht zu schließen und sich nicht der Dunkelheit zu überlassen.
Im selben Moment merkte sie, dass sie aufgehört hatte zu zittern. Und da wusste sie, es war zu spät.
69. KAPITEL
Luc durchsuchte jedes Zimmer im Haus, ohne Maggie zu finden. Wo war sie abgeblieben? Hatte Simon sie mitgenommen? Würde er sie irgendwo verstecken und ihr dasselbe antun, wie dieser armen anderen Frau?
Er hörte noch die Sirene des Ambulanzwagens, der den Whippoorwill Drive entlangfuhr. Einer der Sanitäter hatte gesagt, es sähe so aus, als sei die Frau, Joan hieß sie wohl, vergiftet worden. Und wenn Simon nun auch Maggie vergiftet hatte?
Er rang unschlüssig die Hände, lief aber noch einmal die Treppe hinauf, um in Schränken und sämtlichen Ecken nachzusehen, die er schon einmal kontrolliert hatte. Die ganze Zeit musste er daran denken, dass Maggie ihn beschützt hatte. Er durfte sie nicht im Stich lassen. Da er leider nicht mehr wusste, wann sie ihn im Auto zurückgelassen hatte, konnte er nicht ausschließen, dass Simon schon vor Stunden mit ihr geflüchtet war.
„Luc?“ Adam Bonzado stand im Flur zwischen Küche
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