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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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Teenagerpartys leider hin und wieder vorkam. Vanessa war aus irgendwelchen Gründen im Dunkeln hoch zum Weg gelaufen, wahrscheinlich als sie nach Hause wollte, oder vielleicht musste sie auch nur mal, dort war sie gestrauchelt und auf dem kleinen Vorsprung gelandet. Beim Versuch, sich wieder hochzuziehen, war sie abgerutscht und in die Tiefe gestürzt. Sie hatte wohl ebenfalls eine Menge Alkoholintus gehabt, die Information war irgendwie durchgesickert, auch wenn die Familie Klinger alles getan hatte, um dies zu verhindern. Ob sie alleine gewesen war, konnte man nicht mehr rekonstruieren, da die trampelnden Horden am nächsten Morgen durch ihre Kletteraktionen jegliche Spuren verwischt hatten. Ein paar Köpfe würden sicher rollen, weil der Weg nicht richtig abgesichert gewesen war. Und den Ohrring, da waren sich alle einig, hatte ich Bestie ihr in einem eifersüchtigen Kampf abgerissen, auch wenn es dafür keine Zeugen gab. Aber so, wie ich mich aufgeführt hatte, überraschte das ja keinen.
    Und deshalb war ich kein Trauergast der ersten Klasse wie Tine, Nadine, Julia oder gar Leander. Ich war Trauergast der vierten oder der fünften Klasse, mindestens eine Stufe unter Goth-Girl Karolin und wahrscheinlich nur geduldet, damit ich mich richtig öffentlich schämte, denn das wollte der Mob sehen.
    »Ich?«, fragte ich erschrocken zurück. »Nein, ich werde nichts sagen.« Und ich konnte das hier nicht. Es ging nicht, ich musste weg.
    Ich lief einfach los, ließ sie alle stehen, ließ die schwarze Masse von Trauergästen, die sich wie ein lebender Organismus vorwärts in die Halle schob, hinter mir und atmete erleichtert auf, als ich die Hauptstraße erreichte.
    Ohne nachzudenken ging ich in die kleine Coffeebar, die vor ein paar Wochen hier aufgemacht hatte. Ich brauchte etwas zu trinken, etwas Eiskaltes. Siehatten frisch gepressten Orangensaft, Apfelsaft, Holunderschorle und Wasser.
    »Ein Wasser bitte«, sagte ich, den Blick immer noch auf die Auslagen gerichtet. Es sah alles lecker aus, aber ich würde nichts runterkriegen, das wusste ich.
    »Hey, dich kenne ich doch, oder?«, fragte eine Stimme.
    Ich sah auf. An der Kasse stand ein Mädchen mit blauer Brille, langen braunen Haaren und schwarzer Schürze. Sie kam mir vage bekannt vor.
    »Ja, irgendwie …« Ich lächelte höflich. Woher kannte ich die nur?
    »Walpurgisnacht«, sagte sie plötzlich und tippte mit dem Finger in meine Richtung. »Oben bei den Felsen, stimmt's? Du hast dich so über Vanessa Klinger aufgeregt.«
    Ich starrte sie an. Das konnte ich jetzt echt nicht gebrauchen, sollte ich wieder gehen? Aber sie plapperte schon munter weiter. »Ich hab dir von meinem Bruder erzählt, den hat sie doch total lächerlich gemacht und er war so fertig deswegen, weißt du nicht mehr?«
    »Ach ja.« Jetzt fiel es mir wieder ein. Das Mädchen aus der Realschule, die mir mit ihrem Bruder auf den Geist gegangen war.
    »War ja schon ein bisschen unheimlich, dass die dort abgestürzt ist«, fuhr sie fort und drückte langsam den Hebel der Espressomaschine herunter. »Hexenfelsen und Hexennacht und so. Glaube nicht, dass ich da noch mal hingehe.«
    »Die Wiese beim Felsen wird wohl sowieso gesperrt«, antwortete ich. Sonderlich ergriffen schien das Mädchen nicht von Vanessas Tod zu sein. Was sie beschäftigte, war mehr so ein voyeuristischer Grusel, so kam es mir zumindest vor.
    »Ansonsten war es schon eine geile Party, was?« Sie stellte zwei Tassen mit Milchkaffee auf kleine Teller und trug sie zur anderen Seite des Verkaufstresens, wo ein älteres Paar wartete. Dann kam sie zurück. »Für dich also ein Wasser, ja? Sonst noch was?«
    »Nein, danke.« Geile Party? Hatte die das wirklich gerade gesagt?
    »Ich hab total coole Fotos gemacht, wollte ich eigentlich auf Facebook stellen, aber irgendwie kam es mir dann ein bisschen komisch vor, wegen … na, du weißt schon.« Sie zerrte die Kühlschranktür auf und holte ein Sprudelwasser raus. »Ist ja ein bisschen blöd, Fotos reinzustellen, wenn da jemand gestorben ist. Schade drum. Ich glaube, du warst auch ein paarmal drauf.«
    »Ach, sag bloß.« Meine Gedanken wirbelten durcheinander wie in einem Tornado. Die hatte ein Foto von mir von der Walpurgisnacht? »Könnte ich die Fotos mal sehen?«, platzte ich heraus. Vielleicht ergab sich da ja irgendein Hinweis, irgendwas …
    »Klar.« Sie blickte kurz zum Eingang. »Ist eh tote Hose hier.« Rasch zog sie ihr Telefon aus der Hosentasche und drückte darauf rum.

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