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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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nicht für mich bestimmt gewesen war. Oder er hatte es mir absichtlich untergejubelt. Aber warum?

15
Mai
    »Du gehst auf gar keinen Fall in nächster Zeit zu irgendwelchen Partys«, schrie meine Mutter und knallte die leeren Abendbrotteller aufeinander. »Das ist doch lebensgefährlich, so ein Zeug.«
    »Ich hab es nicht freiwillig genommen!«
    »Unglaublich«, wütete sie weiter. »Und die Polizei macht nichts. Nichts!«
    »Wenigstens lebt Lena noch«, sagte mein Vater leise.
    »Natürlich, entschuldige.« Meine Mutter schniefte. »Das ist einfach alles ein bisschen viel, ich …« Sie wedelte hektisch mit ihren Händen herum, als ob sie den einsetzenden Tränenfluss damit stoppen wollte, aber es half nichts. Im Nu war ihr Gesicht nass. »Man macht sich einfach solche Sorgen!«
    »Lena macht schon keinen Unsinn!« Mein Vater nahm sie in den Arm.
    »In was für einer Welt leben wir denn nur, verdammt noch mal?«, rief meine Mutter aus.
    »Ich weiß.« Mein Vater streichelte sie sachte und sah mich erschöpft an. Meine Mutter regte sichwahnsinnig schnell auf. Es würde eine Weile dauern, ehe sie sich wieder beruhigt hatte.
    Ich floh in mein Zimmer. Die Polizei verdächtigte mich nicht. Aber jemand hatte mir dieses ekelhafte Zeug eingeflößt oder ich hatte im Laufe des Abends den falschen Becher geleert. Hatte ich jemandem den Trip geklaut? Voller Scham erinnerte ich mich an meine wüste, torkelnde Tour über den Lagerfeuerplatz, als ich mir überall einfach was zu trinken genommen hatte. Von dem Typen mit der Camouflage-Hose, von dem Typen mit der Teufelskappe, von Nadine, von Julia, von Tines Bruder, von dem Mädchen aus der Realschule, von Leuten, an die ich mich nicht mal mehr erinnerte. Doch das war es nicht. Denn da war immer noch der Ohrring. Der war ja wohl kaum zufällig in meine Tasche gesprungen. Aber die Polizei verdächtigte mich nicht. Und das sollten, verdammt noch mal, auch alle wissen. Mit Leander würde ich anfangen. Da konnte ich mir gleich meine Kette zurückholen, wenigstens hatte ich so einen Vorwand, bei ihm zu klingeln.
    »Ich gehe zu Tine«, rief ich laut und huschte hinter das Haus, wo unsere Fahrräder standen. Tine. Der würde ich es als Nächstes berichten, damit sie endlich aufhörte, mich zu behandeln, als ob ich nicht ganz zurechnungsfähig war.
    In Leanders Straße hielt ich an. Bis hierher war ich geradelt wie eine Verrückte, als gälte es, keine Minute zu verlieren. Jetzt wäre ich am liebsten weitergefahren.Die Straße war dämmrig, in Leanders Haus leuchtete warmes Licht aus fast allen Fenstern. Wie würden seine Eltern sich mir gegenüber verhalten? Ich stand genau vor dem Forsythienbusch, hinter dem ich mich vor ein paar Wochen versteckt hatte. Und jetzt lungerte ich wieder hier herum … Ich gab mir einen Ruck und schob mein Fahrrad auf den Fußweg. Dort lehnte ich es an den Zaun, stieg die Stufen zu Leanders Haustür hoch und drückte auf die Klingel.
    Ich betete innerlich, dass mir Kimmy öffnen würde. Oder wenigstens Leanders Oma. Hinten im Garten konnte ich die dunklen Umrisse von Leanders Baumhaus erkennen, das seit einiger Zeit Kimmy gehörte. Da drin hatten Leander und ich das erste Mal … Jetzt war nicht der Zeitpunkt, um sentimental zu werden. Ich sah mich noch mal rasch um und nahm eine Bewegung war, dort vorn bei dem Busch. War da jemand? Oder war es nur Leanders Katze? Kurz bildete ich mir ein, Zigarettenrauch zu riechen, ein Zweig knackte. Dann ging die Tür vor mir auf.
    »Du?«, fragte Leander.
    »Ja, ich.«
    Leander gab ein ungläubiges Geräusch von sich, eine Art Schnaufen. Dann schüttelte er den Kopf, wie um sicherzugehen, dass ich keine Vision war.
    »Ich …«, setzte ich an, im selben Moment, als Leander »Was …?« sagte.
    Ich holte tief Luft. »Ich wollte dir nur sagen, dass ich nichts mit Vanessas Tod zu tun habe. Ich weiß,die halbe Schule denkt irgendwie, ich hätte sie da runtergestoßen, aber das habe ich nicht! Und der Grund, warum ich mich an nichts erinnere, ist, dass mir irgendjemand solche Scheißdrogen verpasst hat.«
    Einen Moment lang war da etwas in Leanders Gesichtsausdruck. Etwas Aufmerksames. Nachdenkliches.
    Ermutigt fuhr ich fort. »Ich habe es nicht mal gemerkt. Scratch heißt das Zeug, ich habe keine Ahnung, was das ist.«
    Er sagte immer noch nichts.
    »Ich hatte total abartige Visionen, von Hexen und Feuer und …« Ich brach ab. »Dann bin ich eingeschlafen. Das war alles. Als ich aufgewacht bin, da war Vanessa, da war sie

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