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Eiskaltes Schweigen

Titel: Eiskaltes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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drang.
    Â»Sie müssen mich verwechseln, tut mir leid.« Ich wandte dem unerträglich gut gelaunten Zeitgenossen den Rücken zu.Er beobachtete mit langem Hals, wie ich das Handy herausnahm. Auf dem bunten Display prangte ein kleiner Briefumschlag.
    Die Nachricht war kurz: »Hohensachsen aussteigen.«
    Â»Nächster Halt: Hohensachsen«, sagte die freundlichgelangweilte Frauenstimme im Lautsprecher. Wir wurden schon langsamer.
    Schon stand ich wieder im Regen. Außer mir hatten nur zwei fröhlich schwatzende alte Damen mit ihren Einkaufstüten die Bahn verlassen. Summend fuhr der leuchtende Zug an, wurde rasch kleiner, war bald außer Sicht.
    Die Haltestelle lag einsam, Hunderte Meter vom nächsten Haus entfernt. Jenseits der Schienen rauschte dichter Feierabendverkehr in beiden Richtungen die Bundesstraße entlang. Eine endlose Kette von Lichtern, weiß und rot, jeder Wagen zog eine Schleppe aufgewirbelten Wassers hinter sich her. Weit und breit kein Mensch. Fünfundzwanzig Minuten nach fünf. Die Fahrt hatte über eine halbe Stunde gedauert. Ich hätte alles Mögliche unternehmen können in der langen Zeit. Wenn ich nur gewusst hätte, was.
    Der Regen schien wieder einmal in Schnee überzugehen, der schon in vereinzelten schweren Flocken vom Himmel platschte. Glücklicherweise gab es ein hölzernes Dach, das ein wenig Schutz bot. Hin und wieder warf ich einen Blick auf das Handy: nichts. Laut Anzeige war der Akku fast leer, für ein, zwei kurze Telefonate würde es wohl noch reichen. Aber wen sollte ich anrufen?
    Hielt ich mich an Durians Weisungen, dann würde Theresa freikommen, und es bestand eine – wenn auch minimale – Chance, dass niemand etwas erfuhr. Schlug ich Alarm, würde mein Verhältnis mit der Frau meines Chefs publik werden, meine Karriere wäre in Trümmern, aber das würde ich überleben. Theresa – was würde sie sich wünschen, könnte ich sie fragen? Wie ich es auch drehte: Meine einzige Chance war, Durian zu treffen, ihn zu überwältigen und zu zwingen, mir den Ort zu verraten, wo er sie gefangen hielt.
    Hoffentlich musste sie nicht zu sehr leiden.
    Hoffentlich war sie nicht verletzt.
    Hoffentlich fürchtete sie sich nicht allzu sehr.
    Kann man sich in ihrer verzweifelten Situation überhaupt zu sehr fürchten?
    Plötzlich ein Mensch: Ein Mann stand einige Schritte neben mir, ohne dass ich hätte sagen können, woher er gekommen war. Er trug einen langen, wattierten Mantel, der ihm die Umrisse eines Zylinders gab, und beachtete mich nicht. Hielt sich an seinem kleinen faltbaren Schirm fest, der kaum Schutz bot. Das Licht war hier so schlecht, dass ich sein Gesicht nicht sehen und sein Alter nicht schätzen konnte. Als ich zum Schluss gekommen war, dass auch er nicht Durian sein konnte, beobachtete ich wieder die vorbeifahrenden Autos. Jedes Mal, wenn ich meinte, eines werde langsamer, beschleunigte sich mein Puls. Und immer war es falscher Alarm, sinnlose Aufregung. Nichts geschah. Keiner der zahllosen Wagen machte Anstalten zu halten.
    Um siebzehn Uhr zweiunddreißig kam, pünktlich auf die Minute, die Bahn aus Richtung Weinheim, hielt, fuhr wieder an. Der Mann mit dem Schirm war verschwunden.
    Durian ließ mich noch eine kleine Ewigkeit lang warten und grübeln und Autos zählen. Dann endlich eine neue SMS: »Nächste Bahn zurück.«
    Sollte er mich beobachten, dann konnte er jetzt sicher sein, dass ich allein war. In der Ferne sah ich schon die drei Lichter der näherkommenden Straßenbahn. Sekunden später war ich wieder im Warmen. Dieser Zug war zum Glück fast leer. Aber ich hatte nicht die Nerven, mich zu setzen. Auch dies vielleicht ein uralter Instinkt aus jener Zeit, als unsere Vorfahren noch gewohnt waren, mehr oder weniger ständig in Lebensgefahr zu schweben: Einer Gefahr begegnest du besser im Stehen als im Sitzen.
    Wo er Theresa wohl versteckt hielt? Es gab so viele Möglichkeiten. Ein kaltes, dunkles Kellerloch. Eine ungeheizte Gartenlaube, ein einsam liegendes Haus irgendwo im tiefsten Odenwald. Und meine Geliebte saß da, gefesselt und geknebelt, einsam, so unvorstellbar einsam, bald auch hungrig und durstig, bekam vielleicht kaum Luft, mit ständig angstweiten Augen …
    Plötzlich ging alles sehr schnell. Die nächste SMS war noch kürzer:
    Â»Leutershausen.«
    Ich brauchte einige Augenblicke, um zu

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