Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eiskaltes Schweigen

Titel: Eiskaltes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
murmelte wieder. Einmal klang es, als würde er um sich schlagen. Draußen war immer noch alles still. Was hätte ich gegeben für den Klang einer fernen Kirchturmuhr, für ein Kinderlachen, ein Männerfluchen, für irgendein Zeichen, dass es dort draußen Menschen gab!
    Ich schrak hoch. Wieder musste ich eingenickt sein. Etwas raschelte in nächster Nähe. Gelenke knackten, dann ertönte ein tiefer Seufzer.
    Â»Guten Morgen«, sagte Durian und hustete. Er schaltete das Licht ein, und das ganze Elend war wieder da.
    Â»Sparen Sie sich Ihre blöden Witze!«, fuhr ich ihn an.
    Â»So üble Laune schon am frühen Morgen?«, fragte er gutmütig lächelnd. »Sollten wir etwa nicht gut geschlafen haben?«
    Â»Was denken Sie denn, Sie …?«
    Â»Ich habe ganz vorzüglich geschlafen«, stellte er zufrieden fest und reckte sich.
    Â»Nun reden Sie endlich: Wie geht es ihr?«
    Â»Wie es Ihrer Geliebten momentan geht, entzieht sich leider meiner Kenntnis«, erwiderte Durian, und ich meinte einen zynischen Unterton herauszuhören.
    Schon Minuten später hätte ich nicht sagen können, was übermich gekommen war. Ich muss wohl einen Schrei ausgestoßen haben, und im nächsten Augenblick lag ich auf meinem Entführer und drosch im wahrsten Sinn des Wortes blind auf ihn ein. Ich sah nichts, ich fühlte nichts, und es tat mir unendlich gut, ihm wehzutun. Er schlug zurück, stieß mir ein Knie in die Genitalien, der Schmerz schoss durch meinen Unterleib, ich war behindert, meine Füße waren ja immer noch gefesselt, und plötzlich lag ich quer auf der Luftmatratze, schlug mit dem Kopf hart auf den Boden.
    Durian stand breitbeinig über mir und hielt das Messer in der knochigen Hand. Das Messer, mit dem er bereits drei Menschen getötet hatte. Schwer atmend sah er auf mich herab, zielte mit der Spitze der Klinge auf meinen Hals. An der Klinge waren Flecken. Blut. In seinem Blick flackerte Hass.
    Â»Versuchen Sie das nicht noch einmal!«, keuchte er endlich, die Hand mit dem Messer sank herab, er betastete sein Gesicht. Gerötete Flecken markierten die Stellen, wo ich ihn getroffen hatte. »Setzen Sie sich wieder an Ihren Platz!«
    Beschämt, gedemütigt, wütend auf mich selbst und meine Unbeherrschtheit kroch ich zu meiner Kiste zurück. Unser Tisch war umgefallen. Besteck lag am Boden verstreut, unsere Plastikbecher. »Unsere Becher«, wie das klang! Sich aufzurichten und hinzusetzen, war mit gefesselten Füßen komplizierter als gedacht.
    Â»Entschuldigen Sie«, hörte ich mich krächzen. »Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist. Bitte entschuldigen Sie.«
    Â»Ich muss Sie leider bitten, Ihre Hände wieder zu fesseln«, sagte er kalt. »Die kleine Freiheit, die Ich Ihnen gegönnt habe, haben Sie mir schlecht gedankt.«
    Er warf mir einen seiner verfluchten Kabelbinder zu. Ich fing ihn unwillkürlich auf. Das Messer hielt er immer noch in der Hand.
    Â»Wie soll das gehen? Selbst meine Hände fesseln?«
    Â»Mit dem Mund«, herrschte er mich an. »Sie machen eine Schleife, stecken die Hände durch und ziehen sie mit dem Mund zu.«
    Ich achtete darauf, nicht zu viel Kraft aufzuwenden, um mir das Blut in den Händen nicht abzuschnüren. Mit undurchsichtigemBlick beobachtete er mich, überprüfte den Sitz meiner Fesseln. Wie ein Zoowärter, dachte ich. Er sah mich an wie ein Zoowärter ein krankes, todgeweihtes Tier.
    Und so fühlte ich mich auch: wie ein krankes Tier. Ich war von oben bis unten feucht, schweißgebadet. Inzwischen musste ich auch stinken wie ein Tier. Mein Atem roch vermutlich nach Verwesung. Ich sehnte mich nach warmem Wasser, einem Bad, nach Seife, einer Zahnbürste, einer Rasur.
    Durian wandte sich abrupt um und ging nach vorn. Über Nacht hatte er nur einen Pullover und seine Hose getragen, das Messer hatte vermutlich unter der Luftmatratze gelegen. Ich hörte, wie er sich ankleidete.
    Später stieg er aus, um irgendwo in der Wildnis seine Morgentoilette zu verrichten oder eine erste Zigarette zu rauchen. Jetzt hätte ich wieder nach vorne kriechen können, Radio hören, nach einem Fluchtweg suchen, einem scharfen Gegenstand, mit dem ich meine Fußfesseln durchtrennen konnte.
    Aber ich tat nichts. Ich fühlte mich ausgebrannt, leer und blöde. Mein letztes bisschen Energie hatte ich vorhin in diesem absurden

Weitere Kostenlose Bücher