Eiskaltes Schweigen
lauthals und mit überkippender Stimme. Schnelle Schritte. Ich hörte, wie er die Beifahrertür aufriss und immer weiter fluchend und zeternd versuchte, den toten oder schwer verletzten Polizisten hinauszuzerren. Erst nach einer Weile und vielen Verwünschungen gelang es ihm.
Er wusste so gut wie ich, dass sich unsere Situation dramatisch verändert hatte. Jetzt wurde es gefährlich. Streifenpolizisten geben immer erst per Funk die Daten eines Fahrzeugs durch, das sie kontrollieren werden. Immer. Oder meistens. Falls sie Funkverbindung zu ihrem Revier haben, natürlich. Was hier, mitten im Gebirge, möglicherweise nicht überall der Fall war.
Mein Puls beruhigte sich allmählich. Durian stieg wieder ein, der Diesel lief immer noch.
Irgendwo dort drauÃen brach jetzt Hektik aus. Mit zunehmender Ungeduld wurde in Mikrofone gerufen, wurden Hörer abgenommen, Berichte erstattet, Alarme ausgelöst, Funksprüche abgesetzt, Befehle gebrüllt. Streifenwagen wendeten und jagten mit Blaulicht und Sirene in die entgegengesetzte Fahrtrichtung davon. Helikopter stiegen auf, Horden bewaffneter Kollegen enterten, von scharfen Kommandos gehetzt, Mannschaftstransporter. Waffen wurden überprüft, Ersatzmagazine zurechtgerückt, Funkverbindungen getestet. In wenigen Minuten würden Hunderte von Polizisten auf dem Weg zu mir sein.
Und all das war überhaupt nicht gut.
Durian würde sich nicht ergeben. Wenn es eng wurde, würde er erst mich erschieÃen und dann sich selbst. Die Franzosen hatten ja nicht die geringste Ahnung, worum es hier ging. Sie würden den Lieferwagen stoppen in der Meinung, vielleicht einen kleinen Autodieb zu stellen. Von mir wussten sie nichts.
35
Es geschah nichts.
Die StraÃe war längst wieder kurvig, steil und holperig. Selten hörte ich die Geräusche eines anderen Autos, das uns entgegenkam oder überholte.
Und es geschah nichts.
Allmählich wurden die Ritzen der hinteren Türen dunkel.
Meine dritte Nacht in Gefangenschaft brach herein. Oder die vierte? Die fünfte? Wir fuhren immer noch.
Es geschah einfach nichts.
In dieser Nacht schlief ich überraschenderweise besser. Die Abschnitte, an die ich mich am nächsten Morgen nicht erinnern konnte, waren länger, die wachen Phasen kürzer. Dafür hatte Durian sich viel auf seiner quietschenden und knarrenden Luftmatratze herumgewälzt, hatte im Schlaf gemurmelt und geschmatzt und natürlich wieder geschnarcht.
Die toten oder zumindest schwer verletzten Polizisten machten ihm zu schaffen. Es ist keine Kleinigkeit, Menschen zu töten. Auch wenn es nicht das erste Mal ist.
Unsere Verpflegung wurde karg. Durian wagte sich offenbar nicht mehr in bewohntes Gebiet. Zum Frühstück servierte er Zwieback und Knäckebrot. Dazu Marmelade aus kleinen Portionspackungen. Das Wasser war alle. Er füllte zwei Flaschen drauÃen, an irgendeinem Bach. Der Kaffee war heute nicht einmal richtig warm. Durian war wortkarg und sehr schlechter Laune. Hin und wieder betrachtete er mich aus den Augenwinkeln. Bis auf ein gelegentliches leises »Bitte« oder »Danke« wurde nichts gesprochen.
Später ging er wieder hinaus, um sich die Beine zu vertreten, vielleicht auch flüchtig zu waschen oder auch nur durchzuatmen, ein wenig Gymnastik zu machen, seine Morgenzigarette zu rauchen.
Jetzt wäre eine gute Gelegenheit zum Zugriff gewesen. Genau jetzt, die perfekte Gelegenheit.
Aber es geschah nichts. Alles blieb ruhig. Einmal meinte ich, in der Ferne eine aufgeregte Stimme zu hören. Eine Männerstimme vielleicht. Aber bevor ich die Ohren spitzen und die Luft anhalten konnte, war es schon vorbei.
Dieses Mal dauerte es sehr lange, bis er zurückkam.
Das Wetter schien dasselbe zu sein wie gestern, wie immer. Trüber Himmel, manchmal hörte ich den Scheibenwischer quietschen, manchmal nicht.
Wir fuhren. Kurven, Steigungen, Gefälle.
Nichts geschah. Zum Glück, dachte ich.
Mir wurde bewusst, dass ich längst mit meinem Entführer fieberte. Mich um seine Sicherheit sorgte, statt seinen Tod zu wünschen.
Ich fürchtete mich längst mehr vor dem Zugriff der Kollegen als vor dem Andauern dieser Erniedrigung. In Durians Gewalt war es nicht angenehm, aber ich durfte leben. Ich durfte essen und trinken.
Er wollte sterben. Aber, das wurde mir plötzlich bewusst, er wirkte nicht so. Anfangs war er manchmal, wenn er von seinen Spaziergängen
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