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Eiskaltes Schweigen

Titel: Eiskaltes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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verloren hätte, in diesen schlimmen Monaten nach Veras völlig überraschendem Tod? Wären da nicht meine Töchter gewesen, die ihren Vater brauchten?
    Es ist so verdammt leicht, jemanden zu verurteilen.

33
    In der Nacht schlief ich so gut wie gar nicht.
    Durian hatte mir erlaubt, nicht in der Kiste, sondern darauf zu liegen. Aber die Fläche war zu schmal, zu hart. Ständig verrutschten meine Decken, verknäulten sich, wollten einfach nicht wärmen. Bald tat mir wieder jeder einzelne Muskel weh. Durch meinen Kopf wirbelten unentwegt Gedanken. Was würde ich tun, wäre ich an Balkes und Vangelis’ Stelle? Wie würde ich Durians Überwältigung organisieren? Den Lieferwagen stoppen, auf die Gefahr hin, dass er die Nerven verlor? Oder warten, bis sich eine günstige Gelegenheit zum Zugriff bot? Wenn er sich wieder einmal draußen die Beine vertrat, rauchte oder Schießübungen machte? Früher oder später würden sie uns aufspüren, so viel war sicher.
    Die Frage war: Würde ich dann noch leben?
    Und war das wirklich so sicher?
    Durians Plan war so einfach wie schlau. Wer würde ihn und mich in einem harmlosen Lieferwagen vermuten, der durch irgendeine gottverlassene Gegend Ostfrankreichs kurvte? Durian achtete sicherlich darauf, keine Geschwindigkeitsbegrenzungzu übertreten, nicht mehr Menschen zu begegnen als unvermeidlich. Er hatte sein Aussehen so sehr verändert, dass nicht einmal seine Frau ihn ohne Weiteres erkannt hätte.
    Ich versuchte, mich an die Minuten zu erinnern von Durians Anruf bis zu dem Moment, als ich in seinen Wagen kletterte. Hatte mich jemand gesehen? War mir jemand begegnet auf dem Weg dorthin? Der Dicke in der Straßenbahn, der mein Gesicht aus dem Fernsehen kannte. Mehr fiel mir nicht ein. Es war dunkel gewesen, es hatte geregnet. Der Dicke war also Vangelis’ einziger Zeuge. Und mein Handy natürlich, das hoffentlich noch Strom hatte. Damit ließ sich doch etwas anfangen. Das war doch eine Spur.
    Aber nein, Frankreich ist groß, und es war alles andere als sicher, dass sie mich rechtzeitig fanden. Es hatte mehr als genug Fälle gegeben, wo man das Opfer einer Entführung erst nach Monaten oder Jahren fand. Und am Ende noch Mühe hatte, seine sterblichen Überreste zu identifizieren.
    Im Gegensatz zu mir schlief Durian in seinem gemütlichen Schlafsack, auf einer weichen Luftmatratze. Hin und wieder schnarchte er. Manchmal machte er schmatzende Geräusche, wälzte sich im Schlaf, murmelte Worte, die ich nicht verstand.
    Mein linker Arm war eingeschlafen. Mühsam drehte ich mich auf die andere Seite, worauf innerhalb von Minuten der andere Arm einschlief, während der linke zu jucken begann, als gingen alle Ameisen dieser Welt darauf spazieren. Es kam der Punkt, wo ich schreien wollte, um mich schlagen, Durian würgen und schütteln. Schließlich setzte ich mich auf, starrte Ewigkeiten in die undurchdringliche Dunkelheit.
    Â»Sehen Sie?«, hörte ich plötzlich Durians Stimme. »Jetzt bekommen Sie eine ungefähre Vorstellung davon, wie sich das Leben in einer Zelle anfühlt. Einer schnarcht, und der andere liegt wach und grübelt. Nacht um Nacht, Woche um Woche, Jahr für Jahr. Irgendwann verlieren Sie den Überblick, wissen Sie nicht mehr, sind es zwei Jahre oder drei oder fünf.«
    Mein Mund war trocken. Ich hätte alles Mögliche für einen Schluck Wasser gegeben. Wie spät mochte es sein? Drei Uhr? Vier? Ich hatte nicht erst nach Jahren, sondern bereits nach Stunden das Zeitgefühl verloren.
    Draußen war es vollkommen still. Nicht einmal die Bäume rauschten mehr.
    Ich musste im Sitzen eingenickt sein. Immer noch war mir kalt, trotz der Decken. Durch die Ritzen der Hecktür schimmerte ein erster Hauch von Licht. Durian schnarchte wieder. Jetzt wäre eine gute Gelegenheit gewesen, ihn zu überwältigen. Bis er zu sich kam, hätte ich ihm längst die Pistole entrissen, das Messer …
    Nein, es war zu dunkel. Noch war es zu dunkel.
    Sollte ich mich freiwillig in die verfluchte Kiste legen, nur um nicht zu erfrieren? Dann doch lieber frieren. Ich zog die Beine hoch, schlang die Arme um die Unterschenkel, zupfte die Decken zurecht, machte mich klein. Als ich mich zurücklehnte, stellte ich fest, dass das Blech in meinem Rücken nass war vom Schweiß und kondensierten Atem zweier Männer und von der Kocherei.
    Durian schmatzte und

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