Eiskaltes Schweigen
eingebrochen, die Inflation lag inzwischen bei null. Vor Indien waren dreihundert Menschen ertrunken, als eine überladene Fähre im Sturm kenterte. Der amerikanische Präsident suchte wieder einmal das Gespräch mitNordkorea. Von einem entführten deutschen Kripobeamten oder der vermissten Frau seines Chefs kein Wort. Dann kam der Wetterbericht. Es sollte sonnig werden und wärmer. Der Frühling kam. Nur die Nächte, die würden noch für eine Weile kalt bleiben.
Ich wagte mich ein wenig weiter vor, erreichte das Handschuhfach. Der Deckel klappte auf, ich sah meine Brille, die Armbanduhr und â das Handy! Es gelang mir, es in die Hand zu bekommen, ohne dass er mich von auÃen sehen konnte, auf dem Beifahrersitz liegend schaltete ich es an. Das Display wurde hell. Wie ewig das immer dauerte. Der PIN-Code. Natürlich musste ich mich vertippen in der Eile. Noch ein Versuch, dann eine zweite Ewigkeit, Netzsuche â kein Empfang. Ich lieà es eingeschaltet und legte es unter den Beifahrersitz in der Hoffnung, dass Durian irgendwann wieder in eine Gegend fahren werde, wo Handys Empfang hatten. Hoffentlich war der Akku bis dahin nicht leer. Hoffentlich kamen meine Kollegen in Heidelberg auf die Idee, mein Handy orten zu lassen â¦
Als Durian von seinem Morgenspaziergang zurückkehrte, saà ich längst wieder an meinem Platz und überlegte weiter, wie ich diese verfluchten Fesseln an meinen Knöcheln loswerden konnte.
Die Frühstücksutensilien hatte Durian zusammen mit allem anderen in einer abgewetzten rosafarbenen Sporttasche verstaut, die in einer Ecke stand. Aber das Messer war so stumpf gewesen, dass er kaum das Brot damit hatte schneiden können.
Er sah kurz zu mir herein, nickte zerstreut, zog den Vorhang ganz zu. Nun saà ich im Dunkeln. Durian rumorte vorne herum, sprach manchmal mit sich selbst, kommentierte Dinge, die er im Radio hörte. Später stieg er wieder aus. Kurz darauf knallten drauÃen zwei Schüsse, und ich saà senkrecht auf meiner harten Kiste.
Kam endlich Rettung?
Aber nein, nichts geschah. Durian stieg wieder ein, blieb vorne, hörte Radio und rauchte. Vermutlich hatte er nur meine Pistole ausprobiert. Wie kam es eigentlich, dass er damit umgehen konnte? Schon damals in der Bank hatte er geschossen, auf die Glastür.
Irgendwann, nach Stunden, sprang der Diesel wieder an. DrauÃen schien es allmählich dunkel zu werden. Aber das war doch unmöglich! Hatten wir nicht eben erst gefrühstückt? Nein, das war wohl schon eine Weile her. Ich war schon wieder hungrig.
Die StraÃe, die wir fuhren, war schlecht und kurvig und einsam. Anderen Verkehr schien es nicht zu geben.
Flucht war unmöglich, hatte ich inzwischen begriffen. Also musste ich Durian überwältigen, kampfunfähig machen. Ihn zwingen, mir Theresas Versteck zu verraten. Angesichts seiner KörpergröÃe und Verfassung dürfte das nicht allzu schwierig sein. Aber ich musste die Sache sehr gut vorbereiten. Ich hatte nur einen Versuch.
Sollte ich vielleicht jetzt, während der Fahrt â¦? Unsinn! Unsinn! Wir würden von der StraÃe abkommen, einen Abhang hinabstürzen. Vielleicht, wenn es wieder einmal einen Berg hinaufging und er langsam fahren musste? Nein. Meine einzige Option hieÃ, so lange am Leben zu bleiben, bis sich mir eine Chance bot. Eine echte Chance.
32
Zum Abendessen gab es dicke Bohnen mit Speck aus der Dose. Es schmeckte nicht so übel, wie es aussah, aber schon nach wenigen Löffeln verlor ich den Appetit. Durian hingegen schien die lauwarme Pampe zu genieÃen. Wieder hatte er vorne ein Fenster offen gelassen und den Vorhang nicht ganz geschlossen. Ich sah Tannen, hörte ihr Rauschen im Wind, einmal einen Uhu schreien. Wir schienen uns weitab von menschlicher Zivilisation aufzuhalten.
»Acht Jahre Gefängnis«, sagte er, als er zufrieden seinen Teller auskratzte. »Man lernt wirklich, seine Ansprüche im Zaum zu halten.«
»Wie lange soll das hier noch so weitergehen?«
»So lange, bis Sie sterben werden.« Er stellte den Teller aufden Tisch, faltete gemütlich die Hände auf seinem Bauch, sah mir ins Gesicht.
»Ich habe damals nur meine Pflicht getan.«
»Gehörte es auch zu Ihren Pflichten zu lügen? Natürlich war es falsch, diese Bank zu überfallen. Andererseits â¦Â Sie kennen sich ja so gut mit Brecht-Zitaten
Weitere Kostenlose Bücher