Eiskaltes Schweigen
Karlsruher Südstadt, nur wenige Schritte vom Badischen Staatstheater entfernt. Ich trug denselben Anzug, den ich in der Nacht getragen hatte, als Anita Bialas starb. Obwohl es ein wenig nieselte und die StraÃen feucht glänzten, roch es nach Frühling.
Irina Durians Festnahme lag inzwischen anderthalb Wochen zurück. Seither hatten wir noch keine Gelegenheit gefunden, uns zu treffen, jedoch mehrere Male telefoniert. Auf diesem Weg hatte ich erfahren, was das für eine »kuriosen Sache« war, die ihr am Abend meines Verschwindens zugestoÃen war. Dass die Perlenkette, mit der Durian mich damals so aus der Fassung gebracht hatte, ein mit Ketchup dekoriertes billiges Imitat war, hatte ich ja bereits vorher gewusst.
Theresa war in der Klinik gewesen und hatte auf dem Flur warten müssen, weil ihr Mann wieder einmal Besuch vonirgendwelchen Ãrzten hatte. Da war plötzlich ein magerer Kerl in einem billigen Mantel vorbeigerannt, natürlich Durian, und hatte ihr die Handtasche vom Schoà gerissen. Zunächst war sie so baff gewesen, dass sie erst anfing zu schreien, als er schon auÃer Sicht war. Dann war sie ihm hinterher, die Treppen hinab, hatte Zeter und Mordio gebrüllt und die Handtasche nur ein Stockwerk tiefer wiedergefunden. Dass das Handy daraus verschwunden war, hatte sie erst später bemerkt. Und wie sie am nächsten Morgen Anzeige erstatten wollte, da war es schon wiederaufgetaucht. Auf dem Parkplatz in Schriesheim, vor dem Edeka-Markt, wo Durian es offenbar hatte fallen lassen.
Wir erreichten das urige, laute und schon ziemlich volle Lokal. Ein wie für uns gemachter Zweiertisch in der hintersten Ecke war noch frei. Ich hängte die Mäntel auf, wir nahmen Platz, sahen uns an. Wir waren glücklich.
»Ich habe gehört, du bekommst nun doch keinen Haftbefehl?«, fragte meine Göttin strahlend. Sie trug ein dunkelblaues schlichtes Kleid, gefährlich hohe Schuhe und dazu ihre gute alte Perlenkette. Die echte Perlenkette.
Ich küsste sie auf den schön geschwungenen, jetzt einen Spalt offen stehenden Mund, der mir nie verlockender erschienen war, schmeckte Verlangen und Zärtlichkeit. Wir hatten ein Hotelzimmer in der Nähe und mussten erst morgen nach Heidelberg zurück. Die Nacht gehörte uns.
»Es ist wie verhext«, sagte ich. »Die Frau ist unglaublich clever. Ich habe jede Menge Indizien, aber nicht einen gerichtsverwertbaren Beweis.«
»Was sind das für Indizien?«, fragte sie, plötzlich ganz Gattin des Polizeichefs.
»Es fängt damit an, dass Durian seit Wochen mit seinem Handy immer wieder eine bestimmte Nummer angerufen hat. Das Handy, zu dem diese Nummer gehört, hat sich ganz zufällig immer in der Nähe seiner Frau befunden. Natürlich läuft es nicht auf ihren Namen, sondern auf einen koreanischen Studenten, der längst wieder in seiner Heimat ist, und natürlich haben wir es nicht bei ihr gefunden. Zufälligerweise wurde von diesem Handy auch Frau Heinemann angerufen, die Freundin von Anita Bialas, um deren Aufenthaltsort herauszufinden.Weiter: Die tote Rechtsanwältin ist in den Wochen vor ihrem Tod kein einziges Mal laufen gewesen. Trotzdem wusste Durian genau, welche Strecke sie regelmäÃig genommen hat, wo er sie am besten abpassen konnte. Er hat auch gewusst, dass wir beide uns treffen und wer du bist. All das kann er unmöglich in den paar Wochen seit seiner Entlassung herausgefunden haben.«
»Das heiÃt, sie hat ihm zugearbeitet. Okay. Aber warum? Und warum die plötzliche Hektik? Die beiden hatten doch alle Zeit der Welt.«
»Hatten sie eben nicht. Irina Durian wollte Karenke beerben. Darum ging es. Das war das eigentliche Ziel ihres Plans. Es stimmt nicht, wie sie mir erzählt hat, dass sie ihn verlassen hat. Es war genau umgekehrt: Er hat sie vor die Tür gesetzt, weil sie ihn ständig betrogen hat. Er hatte sogar schon einen Termin beim Notar, um sein Testament zu ändern. Der erste ist dummerweise geplatzt, weil der Notar die Grippe hatte. Der zweite wäre gestern gewesen. Sie waren ziemlich unter Druck, unsere beiden Hübschen. Deshalb die Eile.«
»Wird sie ihn nun tatsächlich beerben?«
»Wenn ich ihr nichts nachweisen kann, und danach sieht es ja leider aus, dann lässt sich das wohl nicht verhindern. Aber sie würde auch sonst nicht hungern müssen. Sie hatte schon sein Konto geräumt und ein Wertpapierdepot
Weitere Kostenlose Bücher