Eiskaltes Schweigen
Knochen. »Das waren wohl eher die Interessen des Unterleibs.«
Plötzlich hatte ich keinen Appetit mehr auf Salat und beneidete ihn um seine Kalorienbombe. Ich legte das Besteck auf den erst halb leeren Teller, faltete die Hände im Nacken und sah aus dem Fenster. Die Sonne, die den Vormittag über vom azurblauen Himmel gestrahlt hatte, war inzwischen hinter milchigen Wolken verschwunden. Für den Abend hatte der Wetterbericht schon wieder Schnee angedroht.
»Sie hat Gesellschaft gesucht und ist an den Falschen geraten â¦Â«, überlegte ich.
»Sie hat übrigens tatsächlich eine Handtasche bei sich gehabt. Die Bedienung ist sich in dem Punkt ganz sicher. Eine schwarze Lackhandtasche. Und es sei eine ziemliche Menge Bargeld drin gewesen.«
»Ihr Lover sieht das Geld«, spekulierte ich weiter, »will sie nachts beklauen, sie wacht auf, holt ihn im Flur ein, stellt ihn zur Rede â¦Â«
»Dummerweise haben wir aber keine Spuren von einem Handgemenge gefunden.« Balke schob zufrieden seinen Teller zur Seite und sah nun ebenfalls aus dem Fenster. »Klara hatâs gut«, seufzte er nach einer Weile. »Die liegt jetzt in Griechenland in der Sonne, guckt aufs Meer und lässt sich von ihrem Göttergatten verwöhnen.«
»Hat man schon was von ihr gehört?«
Er lachte leise. »Sie sind ja gestern erst geflogen.«
Richtig. Die Hochzeitsfeierlichkeiten waren erst in den Morgenstunden des gestrigen Tages zu Ende gegangen. Mir kam es vor, als sei es vor Wochen gewesen.
»Ich habe den Mädels im Ochsen unser Phantombild gezeigt. Sie haben ihn sofort wiedererkannt.«
Ich nickte ihm anerkennend zu. »Wenn sie so weitermachen, dann haben Sie den Täter, bevor Sie wissen, wer sein Opfer ist.«
Balke runzelte die Stirn. »An der Front rührt sich bisher leider nichts.«
Ich erzählte ihm von Flaubert und dem Hausmeister. »Sie sollten sicherheitshalber alle Wagen durchchecken lassen, die in der Tiefgarage und in der Nähe des Hochhauses stehen. Und den Hausmeister sollten Sie auch mal diskret durchleuchten. Der hat irgendwas zu verbergen.«
Ãberrascht sah er mich an, zückte seinen PDA aus der GesäÃtasche seiner Jeans, sein elektronisches Gedächtnis, und tippte eine Weile darauf herum.
»Was sagen die Leute in dem Lokal sonst über sie?«, fragte ich.
»Dass sie gutes Trinkgeld gegeben, mit Berliner oder ostdeutschem Akzent gesprochen und beim Essen kräftig zugelangt hat. Und â jetzt fälltâs mir ein â sie habe an den Abenden immer eine ziemlich teuer aussehende goldene Halskette getragen und ein dazu passendes, ebenfalls goldenes Armband. Beides haben wir bisher nicht gefunden. Eine der Bedienungen meint, unsere Anita habe sich nie ans Fenster gesetzt und immer so, dass sie die Tür im Auge hatte.«
Vor wem hast du dich nur so gefürchtet, Anita Namenlos? Oder S. Breitschwerdt? Für meine Spezialisten war es tatsächlich nur eine Sache von Sekunden gewesen, die ausradierte Schrift in dem Buch zu entziffern. S wie Sandra, Sarah, Susanne, Sabine?
Balke erhob sich schwungvoll, packte sein Tablett und nickte mir optimistisch zu.
Noch am selben Nachmittag, um fünfzehn Uhr sechsundvierzig und somit knapp siebenunddreiÃig Stunden nach dem Mord, wurde Gregor Reuschlin in Saarbrücken festgenommen. Ich erfuhr es nur wenige Sekunden nach Balke. Der Mann war Kollegen von der Bundespolizei aufgefallen, weil er sich im dortigen Hauptbahnhof herumdrückte, zwar mit einer zerknitterten Fahrkarte nach Paris in der Tasche, aber mit so offensichtlichem Entsetzen im Gesicht, dass die Kollegen sichseine Papiere zeigen lieÃen. Reuschlin hatte keinerlei Widerstand geleistet. In seinem Ausweis stand eine Adresse in der Ladenburger Altstadt, nur wenige Kilometer vom Tatort entfernt.
»Hättest du mal âne Minute, Paps?«, fragte Sarah am Montagabend.
Sie war so leise ins Wohnzimmer getreten, dass ich sie gar nicht bemerkt hatte. Ich nahm die Fernbedienung zur Hand und stellte die Musik leiser.
»Was gibtâs?«
»Es ist wegen Loui. Die ist echt voll peinlich in letzter Zeit.«
»Und wie äuÃert sich das?«
Verlegen sah sie auf ihre FüÃe, die in Pantoffeln in Form von Dalmatinerbabys steckten. Wie Louise trug sie seit Neuestem gerne zerlöcherte Jeans, die man guten Gewissens nicht einmal mehr in die Wertstofftonne stopfen
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