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Eiskaltes Schweigen

Titel: Eiskaltes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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konnte, und dazu ein viel zu offenherziges Top. Ihre Lippen waren heute hellrot geschminkt, die Fingernägel schwarz lackiert. Ein wenig beunruhigte mich der Aufwand, den die beiden neuerdings in ihr Outfit investierten.
    Â»Dauernd macht sie Fehler«, fuhr Sarah mit ihrer Anklage fort. »Sagen auch die anderen. Sie ist einfach nicht bei der Sache, und wenn man mal was sagt, dann tickt sie aus, fängt an rumzukreischen und ist tagelang eingeschnappt.«
    Â»Und woran liegt das, deiner Meinung nach?«
    Â»Sie spinnt.« Ratlos zuckte sie die Achseln. »Außerdem ist sie natürlich eifersüchtig, weil ich Fanpost kriege und sie nicht.«
    Â»Du kriegst Fanpost?«
    Â»Ach, bloß zwei, drei Briefe von irgendeinem Hirnie, der mich unbedingt heiraten will. Aber sie ist natürlich trotzdem neidisch.«
    Â»Wo steckt sie eigentlich?«
    Â»Loui hockt im Zimmer und hört Musik. Da kann der Schrank umfallen, und sie kriegt es nicht mal mit, wenn sie die Stöpsel von ihrem iPod in den Ohren hat. Wenn sie so weitermacht, dann ist sie an Ostern taub.«
    Â»Hast du sie mal darauf angesprochen?«
    Â»Wie denn? Sie dreht doch sofort durch, wenn man sie mal ein winziges bisschen kritisiert. Könntest du nicht vielleicht …?«
    Nach kurzem Überlegen beschloss ich, pädagogisch vorzugehen.
    Â»Ich schlage vor, ihr versucht erst mal, das Problem unter euch zu lösen. Schließlich seid ihr keine Kinder mehr, wie ihr immer wieder betont. Und falls ihr absolut nicht klarkommt, dann reden wir weiter. Zusammen finden wir bestimmt eine Lösung.«
    Zum Zeichen, dass das Gespräch beendet war, erhob ich mich und ging in mein Arbeitszimmer hinüber, um die Post durchzusehen. Für einen Montag war es überraschend viel. Werbung für eine neue, angeblich besonders preisgünstige Autoversicherung, die Jahresabrechnung der Stadtwerke. Unser Stromverbrauch war schon wieder gestiegen, vermutlich eine Folge des PCs meiner Mädchen. Außerdem eine persönliche Einladung zur Vernissage eines mir vollkommen unbekannten jungen Bildhauers, die ich in den Papierkorb warf und gleich darauf wieder herausfischte. Die Abrechnung eines Aktienfonds, den mir ein Berater meiner Bank vor zwei Jahren wärmstens ans Herz gelegt hatte und der seither knapp die Hälfte seines Werts eingebüßt hatte. Schließlich noch ein Brief ohne Absender.
    Der Umschlag war grau und billig, mein Name und die Anschrift waren handgeschrieben. Ich riss ihn auf und zog eine schwarzweiße Kunstpostkarte heraus. Das Motiv hatte ich nie zuvor gesehen, ich erkannte jedoch den Stil des Künstlers: Was ich in Händen hielt, war die Reproduktion einer der apokalyptischen Radierungen aus Francisco de Goyas Zyklus »Desastres de la Guerra«. Es zeigte eine Ansammlung blutender, geschundener Leiber, bei denen man tot und lebend, Mörder und Opfer, längst nicht mehr unterscheiden konnte. Auf der Rückseite in derselben Handschrift wie auf dem Umschlag eine einzige Zeile:
    Süß schmeckt dem Menschen das Brot der Lüge, hernach aber füllt sich sein Mund mit Kieseln. Die Handschrift war ebenmäßig und rund, vielleicht von einer Frau. Der Text, vermutlich ein Bibelzitat, mit Füller geschrieben. Ratlos steckte ichdie Karte in den Umschlag zurück und warf das Ganze nach kurzem Zögern in den Papierkorb. Anscheinend fühlte sich jemand berufen, sich um mein Seelenheil zu sorgen.
    Â»Ihr Name ist Gregor Reuschlin«, eröffnete Balke am Dienstagmorgen die Vernehmung in einem Ton, als wäre bereits dies ein Verbrechen.
    Unser Verdächtiger nickte zaghaft. Sein Anwalt runzelte würdevoll die Stirn.
    Â»Sagen Sie bitte laut und deutlich Ja«, forderte ich Reuschlin auf. Seit ich in Heidelberg Kripochef war, wurde jede Vernehmung, und sei sie noch so unbedeutend, aufgezeichnet. Es war in der Vergangenheit nicht nur bei uns immer wieder vorgekommen, dass ein Täter freigesprochen wurde, nur weil jemand beim Protokoll einer Vernehmung geschlampt hatte.
    Â»Ja.« Reuschlin nickte zur Bekräftigung noch einmal und hustete. »Gregor Reuschlin, so heiß ich, ja.«
    Er war anders, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Kleiner, weniger heruntergekommen, als die Zeugen ihn beschrieben hatten. Vor allem aber war er sehr, sehr kleinlaut. Den Blick hielt er hartnäckig gesenkt. Er trug eine schon etwas verschlissene, jedoch saubere schwarze Jeans und dazu ein

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