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Eiskaltes Schweigen

Titel: Eiskaltes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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kassiert, und das war’s auch schon gewesen.«
    Â»Haben Sie sich ihren Ausweis zeigen lassen?«
    Â»Wozu?« Jetzt sah er in die andere Ecke des Zimmers. »Ichmeine, wenn der Vermieter sagt, die wohnt jetzt hier, dann ist das doch wohl sein Bier.«
    Â»Wenn Sie sich hier umsehen, fällt Ihnen auf, dass etwas fehlt?«
    Â»Flaubert.« Er deutete auf das hohe Tischchen rechts neben der Balkontür. »Ihr Papagei. Der Käfig hat sonst immer da gestanden. Einen Heidenradau hat das Vieh gemacht. Er mag keine Fremden, hat sie mal gesagt. Wo ist er hin? Haben Ihre Leute den Geier als Zeugen mitgenommen?« Der Hausmeister grinste verlegen und sah wieder einmal auf seine speckigen Wildlederschuhe hinab. »Wer klaut denn um Himmels willen einen Papagei? Obwohl, manche sollen ja ganz schön wertvoll sein.«
    Â»Flaubert«, sagte ich. »Bovary. Das ist wohl kein Zufall.« Madame Bovary von Gustave Flaubert, ein Bestseller des neunzehnten Jahrhunderts. Ich hatte das Buch nie gelesen.
    Er hob die Hand, in der er immer noch die Bücher hielt. »Sie hat viel gelesen. Die hier sind auch von ihr. Hat sie mir geliehen. Ich wollte sie zurückbringen.«
    Nach einem fragenden Blick, ob es erlaubt sei, legte er die Bücher aufs Bett.
    Â»Wann haben Sie Flaubert zuletzt gesehen?«
    Â»Ende Dezember war das, am Tag vor Silvester. Da ist das mit der Dusche gewesen. Da war er noch da und hat geschimpft wie ein Irrer. Vielleicht ist er in der Zwischenzeit gestorben? Obwohl, Papageien können ja ganz schön alt werden.«
    Der inzwischen erbärmlich schwitzende Hausmeister sah mich unsicher an.
    Â»Wie ist das, kann ich Ärger kriegen?«
    Â»Weshalb?«
    Â»Na, weil ich mir keinen Ausweis habe zeigen lassen.«
    Angesichts seiner verlegenen Miene kam mir der Verdacht, dass die Frage den eigentlichen Grund seiner Unsicherheit bestenfalls streifte.
    Â»War denn sonst noch irgendwas?«, fragte ich. »War etwas ungewöhnlich bei der Schlüsselübergabe?«
    Â»Na ja.« Jetzt mied er wieder meinen Blick. »Sie hat, also, wie sie ihren Namen auf den Vertrag schreiben wollte … Anita,das ging noch ganz flott, aber beim Nachnamen, da hat sie auf einmal gestockt, das B hatte sie schon hingemalt, und dann hat es ausgesehen, als müsste sie überlegen, wie sie heißt.« Er zog die Nase hoch, malte mit der Spitze seines rechten Schuhs kleine Kreise auf den fleckigen Teppichboden.
    Â»Sie denken, Bovary war nicht ihr wirklicher Name?«
    Â»Das denke ich, ja.«
    Â»Hat sie sich für französische Literatur interessiert?«
    Â»Hat sie. Ihre anderen Bücher haben Sie ja vermutlich schon gesehen.«
    Während ich um das Bett herumging, fuhr er fort: »Was auch komisch war: Die Miete hat sie überhaupt nicht interessiert. Und die Kaution hat sie bar bezahlt. Neunzehnhundert, ohne mit der Wimper zu zucken bar auf den Tisch gelegt, aus der Handtasche. Dann wollte sie wissen, wie sie die Miete bezahlen kann, solange sie noch kein Konto hat. Sie habe länger im Ausland gelebt, hat sie gesagt. Und sie hat mir die Miete später auch immer bar gegeben, und ich habe das Geld an den Vermieter überwiesen. Und, ach ja, dann wollte sie noch wissen, wo sie sich was zum Anziehen kaufen kann. Ich habe gesagt, in Mannheim oder in Heidelberg. Sie ist dann auch tatsächlich zweioder dreimal nach Mannheim gefahren und immer mit großen Tüten heimgekommen.«
    Während der Hausmeister erzählte, hatte ich Anita Bovarys Bücher auf das Bett gelegt neben die drei anderen, die sich dort schon befanden. Die Bettwäsche duftete noch ein wenig nach ihrem Parfüm. Anita ohne Nachnamen hatte nicht nur viel, sondern auch ein wenig chaotisch gelesen. In nicht weniger als vier der Bücher – überwiegend gebundene Ausgaben – steckten Lesezeichen. Die Auswahl schien keinem Prinzip zu folgen. Neben Graham Greenes Unser Mann in Havanna lagen Victor Hugos Der Glöckner von Notre Dame , Philip Roths Der menschliche Makel und Patrick Süßkinds Parfum . Zwei Krimis von einer skandinavischen Autorin, deren Name mir nichts sagte, kamen zum Vorschein und schließlich Sten Nadolnys Selim oder Die Gabe der Rede . Seine Bücher verraten eine Menge über einen Menschen. Allerdings nur jemandem, der selbst gerne liest, und nicht dem Kollegen von der Spurensicherung,dessen Lektüre sich oft auf den Sportteil der

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