Eiskaltes Schweigen
ausgesetzt, dann ging es noch einmal für ein paar Monate.«
Zugleich verzweifelt und vorwurfsvoll sah sie mir ins Gesicht.
»Sie können sich nicht vorstellen, wie das ist, wenn nach und nach alles kaputtgeht. Wenn es nur noch eine Richtung gibt: abwärts. Unsere Schulden wurden immer mehr statt weniger. Wir wagten kaum noch, die Briefe zu öffnen, die uns ins Haus trudelten. Inzwischen hatten wir auch fast ständig Streit. Und von Kindern war längst keine Rede mehr.«
Klara Vangelis machte sich mit ihrer winzigen Handschrift Notizen.
»Die Bank hatte Michael die Idee mit dem Haus förmlich eingeredet. Vorher sind diese Leute ja immer nett und hilfsbereit, alles kein Problem, alles ist machbar. Aber wenn es dann hart auf hart kommt, dann steht man plötzlich allein im Regen.«
Mir kam ein Verdacht. »Welche Bank war das?«
Hilflos hob sie die Schultern. »Um diese Dinge hat Michael sich gekümmert, tut mir leid. Vielleicht aus Sorge, ich könnte merken, dass er nichts versteht von Geldsachen.«
»War es eine deutsche Bank?«
»Nein, es war â¦Â nichts Normales. Michael hatte es bei den üblichen Banken versucht. Aber denen war die Sache zu heikel. Er hatte sich aber förmlich in die Idee verrannt, dass ein erfolgreicher Verleger auch ein Haus haben müsse. In unserer Ehe hat es damals schon ein wenig gekriselt, und vielleicht dachte er, wenn wir ein hübsches Heim haben und nicht mehr in dieser engen Zweizimmerwohnung aufeinandersitzen â¦Â«
Sie hob die Hände, seufzte, schüttelte wieder den Kopf.
»Könnte es die IFS gewesen sein?«
»IFS? Doch, das kommt mir bekannt vor.«
»War Ihr Mann später wütend auf die Bank? Hat er Drohungen ausgestoÃen?«
»Nicht direkt gegen die Bank, nein. Gegen eine Frau, die ihm die Hypothek aufgeschwatzt und alles schöngerechnet hatte. Auf die war er sogar sehr wütend. Da Michael immer recht hatte, konnte natürlich nur jemand anders schuld sein an dem Desaster. Sie habe ihm das Geld geradezu aufgenötigt, hieà es plötzlich. Sie hätte ihn warnen müssen. Aber jetzt sagen Sie mir bitte endlich, was bedeutet das alles?«
»Ich nehme an, das Haus wurde zwangsversteigert?«
Wieder zögerte sie einige Sekunden mit der Antwort.
»Es war so schrecklich«, flüsterte sie dann. »Das Haus war weg, der Verlag, wir hatten immer noch jede Menge Schulden. Wir haben wieder zur Miete gewohnt, in einem noch winzigeren Loch in der Südstadt als zuvor. Jetzt, im Nachhinein, denke ich, Michael ist daran zerbrochen. Irgendwo tief innen muss er sich schrecklich geschämt haben. Nach auÃen hin war er nur empört. Nach auÃen hin hat er den Betrogenen gegeben, das Opfer, dem alle Welt übel mitgespielt hat. Damals wurde mir klar, dass er im Grunde immer schon so gewesen war. Und am Ende hatten wir nur noch Streit, Streit, Streit.«
»Haben Sie damals Herrn Karenke kennengelernt?«
Wieder schwieg Irina Durian für eine Weile. Das machte sie mir sympathisch: sie überlegte, bevor sie sprach. Und wenn sie sprach, dann schwatzte sie nicht herum.
»Nein«, erwiderte sie schlieÃlich. »Das war später. Als ich John traf, saà Michael längst im Gefängnis, und ich hatte den Kontakt zu ihm abgebrochen.«
Sie nestelte ein Taschentuch aus dem Ãrmel ihrer farbenfrohen, seidig schimmernden Bluse, wischte sich über die Stirn, schnäuzte sich symbolisch. Das Taschentuch behielt sie in der Hand.
»Die ganze Zeit über, all die Jahre, habe ich überlegt, was ich damals falsch gemacht habe. Wann ich hätte einschreiten sollen, stopp rufen.«
»Sie trifft sicherlich keine Schuld.«
Wie leicht sich das sagte.
»Aber natürlich!«, fuhr sie mich mit flammendem Blick an. »Natürlich bin ich schuld! Wir waren schlieÃlich verheiratet. Wir hatten uns versprochen zusammenzustehen. Und dann â¦Â Mein Gott, ich habe ihn allein gelassen im tiefsten Elend. Auf der anderen Seite â¦Â Es konnte so nicht mehr weitergehen. Es wäre ihm doch nicht geholfen gewesen, wenn ich auch noch zugrunde gegangen wäre.«
»Wie ging es denn weiter?«, fragte Vangelis. Es waren die ersten Worte, die ich im Lauf des bedrückenden Gesprächs von ihr hörte.
»Abwärts«, schluchzte unsere Gesprächspartnerin, die von einer Sekunde auf die andere die Fassung verloren hatte.
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