Eiskaltes Schweigen
der? Abgeschlossen hat der mit seinem Leben.«
»Wo hat er in den letzten Wochen gewohnt?«
Der Bewährungshelfer nahm einen verstaubten gläsernen Briefbeschwerer von seinem überladenen Schreibtisch und begann, ihn abzuwischen.
»Ich hab ihm für den Anfang ein Zimmer in ânem Wohnheim von der Evangelischen Stadtmission organisiert. Nichts Tolles, aber fürs Erste okay. Der Plan war, dass er sich was Besseres sucht, sobald er einen Job hat. âºKlar, Berndâ¹, hat er gesagt, âºmach ich, Berndâ¹.«
»Dieses Zimmer würde ich mir gern ansehen.«
»Null Problemo. Sind Sie mit dem Auto da?«
»AuÃerdem brauche ich dringend aktuelle Fotos von Ihrem Schützling.«
»Also, ich hab keine. Ich könnt aber mal in der JVA nachfragen.«
»Das haben wir schon getan. Die haben nur die üblichen Bilder, die bei der Aufnahme gemacht werden. Die sind neun Jahre alt.«
»Stimmt, in dem Punkt ist der Michael komisch gewesen«, sagte der Bewährungshelfer plötzlich konzentriert und legteden jetzt wieder glänzenden Briefbeschwerer an seinen Platz zurück. »Jetzt, wo Sieâs sagen: Der wollt sich nicht gern fotografieren lassen.« Er wies auf einen Uralt-Laptop, der auf der letzten freien Ecke seines Schreibtischs vor sich hin brummte. »Ich hab da ein kleines Fotoalbum von meinen Klienten. Kommt âne ganze Menge zusammen über die Jahre, und die Rückfallquote ist bei meinen Jungs nur halb so hoch wie der Durchschnitt. Aber der Michael â¦Â der wollt sich echt nicht fotografieren lassen. Hab mir nichts dabei gedacht. Jeder hat ja seine Macken. Die meisten Knackis fassen erst mal nicht so leicht Vertrauen.«
»Hatte er vielleicht einen Zellengenossen, der uns etwas über ihn erzählen könnte?«
»Den gibtâs. Mit dem Ruppke hat er zusammen gesessen.«
»Mit dem Ruppke?« Vangelis sah alarmiert von ihrem Notizbüchlein auf.
»Ja, genau der.«
Vermutlich jeder Polizist in Baden-Württemberg kannte den Namen des Mannes, der eines sonnigen Nachmittags aus heiterem Himmel seine komplette Familie abgeschlachtet hatte.
»Und die beiden sind miteinander klargekommen?«, fragte ich ungläubig. »Wenn ich mich richtig erinnere, dann hat Ruppke nicht einmal Hauptschulabschluss. Durian ist ein Intellektueller.«
»Komischerweise doch, ja. Die zwei sind irgendwie sogar so was wie Freunde geworden. In gewissem Sinn haben sie sich gut ergänzt. Der Michael war der Intelligente, der Ruppke war mehr fürs Physische zuständig. Der hat dafür gesorgt, dass der Michael in Ruhe gelassen wurde. Als Intellektueller hat manâs nicht gerade leicht im Knast, nicht wahr. Und der Michael hat ihm im Gegenzug seine Eingaben und Briefe geschrieben.«
Ich wechselte mit Vangelis einen langen Blick, der Bewährungshelfer stemmte sich ächzend aus seinem knarrenden und quietschenden Bürostuhl.
»Okay«, sagte ich. »Erst das Zimmer, dann Ruppke.«
Den Besuch in dem Wohnheim in der StephanienstraÃe hätten wir uns sparen können. Das Zimmer war bis auf einige mehr oder weniger sperrmüllreife Möbel leer. Wir fanden nichts, was an den ehemaligen Bewohner erinnert hätte. Das Bett war abgezogen, die Bezüge sorgfältig gefaltet und auf Decke und Kissen deponiert. Am Boden lag nichts auÃer ein wenig Staub. Der Schrank mit zwei knarrenden Türen war so leer wie die Schublade des Tischs unter dem Fenster, durch das man auf kahle Bäume blickte.
Der Bewährungshelfer war in der Tür stehen geblieben und beobachtete schnaufend, wie wir uns ratlos in dem vielleicht fünfzehn Quadratmeter groÃen, lange nicht gelüfteten Raum umsahen.
Vangelis trat zu einer Pressspankommode neben dem Bett und zog nacheinander alle Schubladen auf.
»Nichts«, sagte sie, rückte die Kommode von der Wand und schob sie wieder zurück. Sie hob die Matratze an, um darunterzusehen.
»Nichts.«
»Das ist eine Nachricht an uns«, sagte ich langsam. »Er braucht keine Wohnung mehr, will er uns sagen. Er lebt nur noch für seine Rache.«
»Hoffentlich ist seine Liste nicht mehr allzu lang.« Der Bewährungshelfer lachte verlegen.
20
Die beiden mürrischen Beamten an der Pforte der Bruchsaler Justizvollzugsanstalt erwarteten uns bereits. Sönnchen hatte uns telefonisch angemeldet und sich um die Besuchserlaubnis gekümmert. In Bruchsal
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