Eiskaltes Schweigen
gemacht, dass sein Schützling verschollen war.
»Michael auf freiem FuÃ?«, fragte Irina Durian zutiefst erschrocken, als sie mir eine Stunde später gegenübersaÃ. Dieses Mal hatte ich sie zu mir in die Direktion gebeten. Sie war sofort bereit gewesen zu kommen.
»Das wussten Sie nicht?«
Neben mir saà Klara Vangelis. Heute wirkte sie schon ein wenig frischer als am ersten Tag nach ihrem Urlaub. Da sie den Fall noch nicht in allen Einzelheiten kannte, schwieg sie und hörte zu. Balke hatte ich gestern Abend Hausverbot erteilt, bis er wieder gesund war.
»Ich dachte, er hat zwölf Jahre â¦Â« Die sichtlich aufgewühlte Frau, die offiziell immer noch mit dem Mörder verheiratet war, schlug die dunklen Augen nieder. »Wenn ich â¦Â Verstehen Sie, wir hatten seit Jahren keinen Kontakt mehr. Ich habe kaum noch an Michael gedacht. Ich habe dieses Kapitel meines Lebens verdrängt. Nein, gestrichen. Hätte ich geahnt, dass es von Bedeutung ist, dann hätte ich Ihnen natürlich von ihm erzählt. Wie sollte ich ahnen, dass er Amok läuft? Dass er etwas mit Johns Tod zu tun hat?«
»Wir wissen es selbst erst seit heute.«
»Das â¦Â Es ist sonst überhaupt nicht seine Art. Früher hat Michael jede Form von Gewalt verabscheut. Er â¦Â Ich â¦Â Nein, ich verstehe es nicht. Ich verstehe es einfach nicht. Können Sie mir das erklären?«
»Dass er Gewalt ganz und gar ablehnt, stimmt nicht. Immerhin hat er eine Bank überfallen. Er war bewaffnet. Er hat Geiseln genommen.«
»Mit erbärmlichem Erfolg, ja. Damals war er völlig verzweifelt. Jetzt handelt er überlegt, geplant. Das ist doch etwas völliganderes. Michael muss sich in den Jahren im Gefängnis sehr verändert haben.«
Sie wischte sich die Augen mit dem Rücken der rechten Hand. Schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf.
»Wie ist es eigentlich damals zu dem Bankraub gekommen? In seiner Akte habe ich gelesen, dass er Unternehmer war. Dass er einen Verlag hatte.«
»O ja, und was für einen!« Sie lachte hilflos. »Dieser Verlag war eine einzige Pleite. Seine finanziellen Probleme sind ihm schlieÃlich über den Kopf gewachsen. Michael hat Literaturwissenschaft studiert und sein Leben lang unglaublich viel gelesen. Als wir uns kennenlernten, da hatte er gerade seinen Verlag gegründet. Er hatte eine Tante beerbt und dachte, nun wird er den Markt mit seinen groÃartigen Büchern überrennen.«
»Und Betriebswirtschaft war vermutlich nicht sein Lieblingsfach.«
»Sie sagen es«, seufzte Irina Durian. »Praktische Dinge waren nicht seine Welt. Bis zum Ende hat er ohne meine Hilfe keine ordentliche Gewinn-Verlustrechnung hinbekommen. Wobei es ohnehin meist nur Letzteres war, eine Verlustrechnung. Ein Verleger sollte eben nicht nur ein Büchernarr sein, sondern auch ein guter Geschäftsmann. Dabei hat er anfangs durchaus Erfolg gehabt. Im zweiten Jahr hat er tatsächlich mit einem kleinen Gewinn abgeschlossen. Er hat sich zunächst auf regionale Sachen konzentriert. Bildbände, zu denen er die meisten Texte selbst beigesteuert hat, Biografien berühmter Menschen aus der Region. Aber das reichte ihm nicht, und so fing er mit der hohen Literatur an. Er hatte sich in einen Lyriker verguckt, angeblich den Rilke des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Drei Bände hat Michael verlegt, drei Flops. AuÃerdem hat er ein Haus gebaut. Damals haben wir sogar an Kinder gedacht. Aber dann kam der Verlag ins Trudeln. Michael hat einen Verlustbringer nach dem anderen herausgegeben, wurde immer dickköpfiger und unzugänglicher. Er konnte einfach nicht zugeben, dass auch er hin und wieder unrecht hatte. Michael hatte immer recht. Das war â¦Â ist vielleicht sein gröÃter Fehler: dass er keine Fehler zugeben kann. Anfangs ist mir dasnicht aufgefallen. Wie es so ist, wenn man verliebt ist. Aber als dann auch noch der Ãrger mit dem Haus losging â¦Â«
Sie brach ab und schloss die Augen.
»Welcher Ãrger?«, fragte ich leise.
Es dauerte einige Sekunden, bis sie weitersprach. »Wie es so geht â¦Â Das Haus wurde teurer als geplant, der Verlag hat weniger eingebracht als kalkuliert. Und obwohl ich damals Vollzeit gearbeitet habe, ich bin Innenarchitektin und hatte eine gute Stellung â¦Â Es hat hinten und vorne nicht gereicht. Die Bank hat die Tilgung
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