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Eiskaltes Schweigen

Titel: Eiskaltes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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fühlte mich so einsam wie noch nie, und mir wurde bewusst, dass die Zwillinge überhaupt nicht mehr stritten, seit mein Leben bedroht war.
    Das Wochenende war das längste meines bisherigen Lebens. Die Minuten waren zäh und klebrig. Stunden wurden zu kleinen Ewigkeiten. Alles war zur Zeitlupe geronnen. Lesen machte mich nervös, Musik langweilte mich, Fernsehen machte mich zugleich müde und aggressiv. Madame Bovary hatte ich inzwischen ins Regal gestellt. Vielleicht würde ich es irgendwann noch einmal zu lesen versuchen, unter günstigeren Bedingungen.
    Mittags hatte ich keinen Appetit. Der anschließende von zwei Streifenwagen im Schritttempo verfolgte Spaziergang geriet zur Farce. Nicht einmal einkaufen durfte ich, hieß es plötzlich. Die Lichtpunkte meines öden Lebens waren die Telefonate mit meinen Töchtern. Sie langweilten sich nicht weniger als ich. Immerhin hatten sie einen Fernseher, und der Mann von Sönnchens Nichte oder Cousine hatte ihnen seinen Breitbild-Laptop mit allen erdenklichen Extras aufs Zimmer gestellt. Ihre Bewacher bestätigten mir auf Nachfrage, dass die beiden keine Zicken machten und bisher keine Fluchtversuche unternommen hatten.
    Ständig musste ich gähnen, aber wenn ich mich hinlegte, um ein Nickerchen zu machen, fand ich keine Ruhe.
    Aber ich lebte noch. Wenn auch mit dem Gefühl, mitten im Zentrum eines vollkommen lautlosen Orkans zu sitzen.

25
    Am Montagmorgen war ich froh, wieder in die Direktion zu dürfen. Ich floh aus meiner Wohnung, wie ich am Freitag aus dem Büro geflohen war. Dort fand ich alles unverändert.
    Drei Männer hatte man im Lauf der vergangenen zwei Tage festgenommen, erfuhr ich von Sönnchen, nur um sie kurze Zeit später wieder freizulassen. Vier Wohnungen, elf allein stehende Häuser und eine Menge Gartenlauben hatten meine Leute ergebnislos durchsucht. Immerhin war ihnen dabei ein lange gesuchter italienischer Drogendealer ins Netz gegangen, und sie hatten eine verwahrloste Zweizimmerwohnung entdeckt, in der ein alter Mann zusammen mit siebenunddreißig halb verhungerten Katzen hauste.
    Durian blieb verschwunden.
    Den Vormittag verbrachte ich im Wesentlichen damit, Sönnchen von meinem ereignislosen Wochenende zu erzählen und mir ihren wütenden Bericht von einem restlos missglückten Auftritt ihres Kirchenchors anzuhören. Ich glaube, sie langweiltesich bei unseren mühsamen Gesprächen nicht weniger als ich. Zum Mittagessen musste ich mich zwingen. Meine Sekretärin hatte mich ausdrücklich ermahnt. Der Kaffee danach schmeckte nach angesengtem Stroh.
    Sicherheitshalber rief ich hin und wieder in Heilbronn an. Meine Töchter schienen nach wie vor brav zu sein und sich an alle Abmachungen zu halten. Der Fernseher war allerdings zu klein, und der Laptop funktionierte auch nicht richtig.
    Durian war immer noch frei.
    So still es in meinem Büro war, so hektisch ging es eine Etage tiefer zu. Das wusste ich allerdings nur aus Sönnchens Berichten. Runkel habe Flaubert nun wirklich mit nach Hause genommen, da er mit seinem Geschrei die Leute verrückt machte. Von Theresa kam hin und wieder eine SMS mit sorgenvollen Fragen, die ich in schnoddrigem Ton beantwortete. Richtige Männer kennen keine Angst, war einer der Sprüche. Sie nannte mich zärtlich einen Dummkopf.
    Meine Telefonleitung schien jemand zerschnitten zu haben. Als ich versuchsweise den Hörer ans Ohr hielt, tutete es allerdings vorschriftsmäßig.
    Inzwischen fühlte ich mich schon fast wieder zuversichtlich. Der Mensch gewöhnt sich offenbar an alles. Selbst an Todesangst. Wäre nur diese elende, zermürbende Langeweile nicht gewesen.
    Balke und Vangelis bekam ich nur einmal kurz zu Gesicht. Auf Balkes Stirn standen Schweißperlen, er schien abgemagert zu sein in den letzten Tagen. Vermutlich die Grippe, die ihm immer noch zu schaffen machte. Vangelis kam mir blasser vor als sonst, verschlossener und noch ernster. Hastig gingen sie mit mir die Liste ihrer nächsten Maßnahmen durch. Dann verschwanden sie, und ich war wieder allein.
    Selbst auf dem Flur war es an diesem Montagnachmittag stiller als sonst. Oder kam es mir nur so vor? Irgendwann wurde mir bewusst: Es wurde nicht mehr gelacht in meiner Gegenwart, in meiner Nähe wurden keine Witze mehr gerissen. Man mied mich, weil man fürchtete, das Unglück könnte überspringen. Vielleicht ein uralter Instinkt, der in jedem von

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