Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
war gar nicht mehr da.
Vesa Lehmus würde verschwunden bleiben, unsichtbar, weil er es so wollte …
Als Joentaa das Gebäude betrat, verflüchtigte sich der erste Eindruck, die Idylle, die er von draußen gesehen hatte. Er ging einen langen, schwach beleuchteten Gang entlang, aber er fand niemanden, der ihm weiterhelfen konnte. Er fragte zwei Frauen nach Tommy Lehmus, aber sie verstanden gar nicht, was er sagte. Eine der beiden saß im Rollstuhl und war so schmal, dass Joentaa erschrak, als er es bemerkte.
Er nickte ihnen zu, bemühte sich um ein Lächeln und spürte ihre leeren Blicke in seinem Rücken.
Er ging eine Treppe hinauf und dachte, dass er das Alter nicht kannte. Er hatte keine Ahnung, was es bedeutete, er konnte sich nicht vorstellen, in einem solchen Heim zu arbeiten, und er konnte sich nicht vorstellen, jemals alt zu sein.
Er ging wieder einen Korridor entlang und hörte Stimmen. Erleichtert beschleunigte er seine Schritte. Die Stimmen kamen aus einem großen Saal, in dem offensichtlich gerade das Mittagessen vorbereitet wurde. Joentaa fragte eine der Bediensteten nach Tommy Lehmus. Sie kannte Tommy Lehmus, sie lächelte, als Joentaa den Namen aussprach, aber sie wusste nicht, wo er war. Sie fragte eine Kollegin, die ebenfalls nur mit den Schultern zuckte.
»Am besten, Sie fragen den Mann da hinten, das ist Taneli Pasanen, der Heimleiter.« Sie deutete auf einen Mann, der am anderen Ende des Saales in ein Gespräch vertieft war. Er kam Joentaa sehr jung vor für einen Heimleiter.
»Taneli, der Herr sucht Tommy!«, rief die Frau.
Der Mann wandte sich um und kam auf sie zu. Er sah Joentaa fragend an. »Ja, bitte?«
»Ich suche einen Ihrer Pfleger, Tommy Lehmus.«
»Tommy …« Auch der Mann hatte ein Lächeln auf den Lippen, irgendetwas an Tommy Lehmus schien die Menschen zum Lachen zu bringen. »Ich weiß nicht genau, wo er ist … wir können ihn suchen. Was wollen Sie von ihm?«
»Entschuldigung, mein Name ist Joentaa.« Er zeigte seinen Ausweis.
»Oh«, sagte der Heimleiter.
»Keine Angst, es geht nur … es ist eine ganz harmlose Sache …«
»Das hoffe ich, Tommy neigt nicht zu Straftaten.« Der Mann grinste.
»Wir suchen den Bruder von Tommy Lehmus und hatten gehofft, dass Tommy Lehmus uns weiterhelfen könne.«
»Seinen Bruder … der ist sicher nicht hier, ich weiß nicht, ob er überhaupt mal hier gewesen ist … aber Tommy erzählt viel von ihm, Tommy ist ja … so eine Art Vater für ihn … sicher kann er Ihnen weiterhelfen, kommen Sie.«
Joentaa spürte, dass der Mann am liebsten nachgehakt hätte. Natürlich wollte er wissen, warum die Kriminalpolizei nach Tommy Lehmus’ Bruder suchte.
»Was meinten Sie damit, dass Tommy Lehmus eine Art Vater für seinen Bruder ist?«, fragte Joentaa.
»Na ja, weil die Eltern der beiden gestorben sind … Tommy war damals ein Kind … ich glaube, er war erst drei Jahre alt, und da sein Bruder meines Wissens jünger ist, war der vermutlich gerade erst geboren worden.«
Joentaa schwieg. Er spürte die Wucht dieser Information. Er wusste, dass es irrational war, aber diese Information beseitigte alle Zweifel. Jetzt war er wirklich sicher, dass Vesa Lehmus der Mann war, den sie suchten.
Joentaa erkannte Tommy Lehmus schon von Weitem. Er kannte ihn nicht, er wusste nicht, wie er aussah, aber er begriff sofort, warum die Bedienstete und der Heimleiter ein Lächeln auf den Lippen gehabt hatten, als er sie nach Tommy Lehmus gefragt hatte.
Tommy Lehmus saß in einer Runde alter Menschen, die lachten. Während Joentaa die Gänge entlanggelaufen war, hatte er sich bemüht, den Augenpaaren auszuweichen, die ihn anstarrten, feindselig, vielleicht gefühllos oder einfach entrückt, er hatte diese Blicke nicht deuten können, aber er hatte gespürt, dass diese alten Menschen nicht mehr in seiner Welt lebten.
Um so erstaunlicher war die gute Laune in dieser Runde, und Joentaa begriff, dass es Tommy Lehmus war, der diese vollkommen andere Atmosphäre geschaffen hatte. Als sie sich der Gruppe näherten, sah Joentaa, dass sie Karten spielten. Tommy Lehmus schlug gerade einer Mitspielerin auf die Finger. »Nicht schummeln!«, rief er, und die alte Frau lachte, alle lachten.
»Das ist er«, sagte der Heimleiter.
Joentaa nickte. »Vielen Dank«, sagte er. Der Heimleiter verstand den Wink, nickte ihm freundlich zu und ging. Joentaa dachte, dass er genau dasselbe tun wollte. Er wollte sich umdrehen und gehen. Er wollte nicht der Störfaktor sein, der
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