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Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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beantwortet. Er hatte weder seine Probleme thematisiert noch nach ihren gefragt.
    Als er sie bald nach der Schulzeit von seinem Vorhaben in Kenntnis gesetzt hatte, in Turku Polizist zu werden, hatte sie einige Male versucht, ihm klarzumachen, dass es dafür zu früh sei.
    Ob es denn unbedingt Turku sein müsse, hatte sie gefragt.
    Er hatte entgegnet, dass nur dort ein Ausbildungsplatz frei sei, und verschwiegen, dass er in den Süden Finnlands wollte, um Distanz zu ihr und zu Kitee aufzubauen, dem kleinen ostfinnischen Dorf, in dem er aufgewachsen war.
    An seinen Vater hatte er keine Erinnerung. Er war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als er drei Jahre alt war. Eine Katastrophe aus heiterem Himmel, die seine Mutter seiner Einschätzung nach nie wirklich bewältigt hatte. Auch wenn sie sich in ihrem bescheidenen Leben behaglich eingerichtet und in ihrem Sohn einen Zielpunkt für ihre erdrückende Liebe gefunden hatte.
    Der Gedanke, sie nicht zu informieren, war natürlich abwegig. Er vermutete, dass sie in den nächsten Zug steigen und nach Turku fahren würde.
    Er würde sie davon abhalten müssen.
    Er zog das Telefon zu sich heran und begann nach einer Weile, langsam die Tasten zu drücken. Er hoffte, dass sie nicht zu Hause war.
    Kurz bevor sie sich meldete, spürte er den Impuls, aufzulegen und nachzudenken. Erst mal Sätze zurechtzulegen.
    »Anita Joentaa.«
    Ihre Stimme war leise und brüchig.
    Sie ist älter geworden, dachte er.
    »Hallo Anita, hier spricht Kimmo.«
    »Kimmo, wie schön, es ist eine Weile her, seit wir …« Sie hielt inne. Er spürte, wie sie sich über den Anruf freute.
    »Ich muss dir etwas sagen …«
    Sie schwieg, wartete.
    »Sanna ist gestorben.«
    »Was …«
    »Ich habe dir doch von ihrer Krankheit geschrieben …«
    »Du hast geschrieben, dass sie ein gutartiges Geschwür habe, das sicherheitshalber behandelt werde …«
    Hatte er das wirklich geschrieben?
    »Und zuletzt hast du geschrieben, dass es ihr schon viel besser gehe.« Ihre Stimme überschlug sich.
    »Das war nicht die Wahrheit. Sanna war schwer krank, und sie ist an ihrer Krankheit gestorben.«
    Es entstand eine Pause. Er versuchte, sich seine Mutter am anderen Ende der Leitung vorzustellen, aber er sah nichts.
    »Warum hast du mir …«
    »Ich weiß nicht.«
    »Du hättest mir die Wahrheit sagen müssen …«
    »Bitte, lass uns das jetzt einfach vergessen, es tut mir leid, aber ich kann es dir nicht erklären, und ich will es dir auch nicht erklären.«
    »Ich hätte dir helfen können … euch beiden helfen können …«
    »Das hättest du nicht!« Er zuckte zusammen, selbst überrascht von der Gewalt, mit der er den Satz ausgestoßen hatte. »Glaub mir, du hättest nicht helfen können«, sagte er leiser.
    Niemand hätte helfen können, dachte er.
    Er bereute schon, sie angerufen zu haben.
    »Ich werde nach Turku kommen«, sagte sie. »Ich fahre gleich morgen früh los.«
    »Ich möchte dich bitten, das nicht zu tun.«
    »Warum?«
    »Ich denke, ich muss jetzt allein sein. Ich kann mir im Moment nur selber helfen.«
    Das war die Wahrheit. Joentaa begriff es in dem Moment, in dem er den Satz ausgesprochen hatte. Er begriff, dass er Angst hatte vor dem Mitleid der anderen, Angst, seine Gefühle offenlegen zu müssen, Gefühle, die er selbst nicht wirklich greifen konnte.
    Er würde unmöglich mit irgendjemandem über Sannas Tod sprechen können, am allerwenigsten mit Anita, deren erdrückende Zuneigung ins Leere gehen und damit nur weitere Probleme bringen würde.
    Anita schwieg, verblüfft von seinen Worten oder einfach überwältigt von der Nachricht und der Sorge um ihren Sohn.
    »Ich möchte, dass du mir etwas Zeit gibst«, sagte Joentaa.
    »Natürlich«, sagte sie.
    »Und ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich so wenig geschrieben und dich im Unklaren gelassen habe. Ich kann auch das schwer erklären … vielleicht wollte ich einfach nicht, dass du wieder leiden musst.« Das war zumindest ein Teil der Wahrheit. Und wieder war er von seinen eigenen Worten überrascht.
    Sie schwieg lange. »Es war trotzdem nicht richtig«, sagte sie schließlich. Er entgegnete nichts.
    Er wusste, dass sie recht hatte.
    »Ich werde mich morgen wieder melden und natürlich Bescheid geben, wenn … der Tag des Begräbnisses feststeht.«
    Wieder entstand eine Pause, aber er spürte, dass sie etwas sagen wollte, dass sie tausend Fragen hatte, zu viele, um eine stellen zu können. »Es tut mir so leid«, sagte sie.
    »Bis

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