Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
grauhaarigen Mannes nach Gefühlen gesucht hatte. Ein hartes Gesicht hatte er gesehen, nicht viel Platz für Schmerz, hatte er gedacht, aber was bildete er sich ein, so etwas zu denken?
Er verließ unter dem Vorwand, sich einen Kaffee holen zu wollen, das Zimmer. Ketola mochte sich darüber wundern, wie er wollte. Vielleicht war ihm in den vergangenen Jahren auch gar nicht aufgefallen, dass Joentaa nie Kaffee trank.
Joentaa ging tatsächlich in Richtung Kantine, aber er ließ den Kaffeeautomaten links liegen und setzte sich stattdessen an einen Tisch am Rand der leeren weiten Fläche, auf der sich gegen Mittag die ganze Belegschaft tummeln würde, um Pause zu machen, ein wenig Abstand zu gewinnen, Erholung von der Verbrecherjagd. Er wusste nicht, warum, es gab keinen plausiblen Grund dafür, aber diese ganze Einrichtung kam ihm plötzlich recht lächerlich vor, und seine Bemühungen, den Mörder von Laura Ojaranta, Johann Berg und Jaana Ilander zu finden, erschienen ihm falsch, aufgesetzt, an den Haaren herbeigezogen.
Was wollte er von diesem Mann?
Was wollte er von Sanna?
Warum dachte er ständig an Sanna, die nicht mehr lebte, warum hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er eine Frau in Stockholm besucht hatte, ein schlechtes Gewissen gegenüber Sanna, die nicht mehr lebte, er musste doch kein schlechtes Gewissen gegenüber Sanna haben, wenn sie nicht mehr lebte!
Warum zwang er sich, Sanna am Leben zu halten?
Warum dachte er an Sanna und nicht an Merja und Jussi Sihvonen, die er lange nicht angerufen hatte. Warum dachte er nicht an seine Mutter, die sich ab und zu meldete und die er kurz angebunden abwimmelte. Warum dachte er nicht an Markku Vatanen, der ihm angeboten hatte, zu Besuch zu kommen, der ihm helfen wollte. Warum fokussierte er sein Leben auf eine tote Frau und einen Mörder, der vermutlich entweder vollkommen verrückt oder einfach nur total abgestumpft und grausam war.
Es würde ihm nicht gelingen, es würde ihm nie gelingen, sich von Sanna zu lösen. Er hatte sich genau das gewünscht. Als alles noch in Ordnung gewesen war. Er hatte sich gewünscht, immer mit Sanna zusammen zu sein, wirklich immer, über den Tod hinaus. Er hatte den Gedanken nie zu Ende gedacht, weil es nicht möglich gewesen war, ihn zu Ende zu denken, er hatte gespürt, dass allein der Versuch vielleicht den ganzen Gedanken getilgt hätte.
Aber er hatte sich genau das gewünscht …
Sanna nie zu verlieren.
Er wusste, dass er sie nie verlieren würde, sie würde bei ihm sein, solange er lebte, und der Gedanke quälte ihn.
Am anderen Ende des lang gezogenen Raums wischte eine beleibte Frau Tische. Ihre Schürze und das Tuch, mit dem sie wischte, waren hellblau. Er fragte sich, ob ihr die Arbeit Spaß machte, ob sie gerne morgens aufstand, um hierherzukommen.
Ketola kam, Joentaa sah ihn durch die Glaswand, mit kantigen Schritten näherte er sich, er schien verärgert, missmutig, aber Ketola schien immer verärgert und missmutig, und Joentaa registrierte zu seiner eigenen Überraschung, dass er erleichtert war, Ketola zu sehen.
Ketola stand für das Gegenteil von sinnlosem Nachdenken, was immer dieses Gegenteil genau beinhaltete.
»Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe?«, fragte Ketola.
Joentaa begriff nicht.
»Als Sie rausgegangen sind, habe ich Ihnen nachgerufen, dass wir gleich zu Ojaranta fahren, haben Sie nicht gehört?«
»Nein, Entschuldigung.«
Ketola nickte unwillig. »Niemi hat gestern Nacht noch den Schlüssel gefunden … den alten, der gar nicht mehr passt, der Mörder hat auch diesen Schlüssel zurückgebracht.«
»Er hing am Schlüsselbrett, als sei er nie weggewesen«, sagte Joentaa, einem Impuls folgend.
Ketola nickte und fixierte ihn mit seinen stechenden Augen, für einen Moment glaubte Joentaa, etwas wie Anerkennung in ihnen zu sehen.
Während der Fahrt schwieg Ketola lange, und Joentaa glitt wieder hinab in seine Gedanken. Als er wieder bei der Frau in der hellblauen Schürze angelangt war, hörte er Ketolas Stimme.
»Wie geht es Ihnen?«
Joentaa brauchte einen Moment, um die Frage zu begreifen. Er spürte Ketolas Blick auf seinem Gesicht.
»Ich denke, ganz gut«, sagte Joentaa.
»Ich wünsche Ihnen, dass Sie den Tod Ihrer Frau überwinden«, sagte Ketola. »Ich denke, dass es sehr schwer sein wird, weil Sie eine sehr spezielle Beziehung zu Ihrer Frau hatten …«
Was redete Ketola da, er kannte ihn doch gar nicht.
Er hatte Sanna kaum gekannt.
»Die Eltern von Jaana Ilander
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