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Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Geklimper? Wie konnte Ketola das aushalten? Ketola schien die Musik gar nicht wahrzunehmen, während Joentaa langsam nichts anderes mehr hörte. Er musste endlich wissen, wie dieses Stück hieß, das er als Kind gemocht hatte und das auch Anna sehr zu mögen schien. Vermutlich war es das einzige, das sie spielen konnte.
    »Es ist Ihnen egal, natürlich, das verstehe ich«, sagte Ketola, ironisch, aber völlig beherrscht.
    Ojaranta war es, der laut wurde. »Merken Sie nicht, dass Sie nerven!«, schrie er. »Ich will endlich meine Ruhe haben!«
    »Das verstehe ich«, sagte Ketola.
    Warum verstand Ketola plötzlich alles?
    Die kleine Anna lächelte. Ein Kind.
    Sanna hatte drei Kinder haben wollen, was ihn ein wenig beunruhigt hatte.
    War er überhaupt ein Kind gewesen?
    Nein, er verwechselte etwas.
    Er hörte Ketolas Stimme, die monoton klang, Ketola war so verblüffend ruhig heute.
    Er schloss die Augen und begriff etwas, aber nicht wirklich, es war nur an der Oberfläche. Er sah Ojaranta, der lethargisch auf dem Sofa hing, als würde er nie wieder aufstehen.
    Dieses Lied, das Anna spielte …
    Joentaa schrie.
    Er hatte noch nie so laut geschrien.
    Er spürte seinen ganzen Schmerz in diesem Schrei.
    Er sah entgeisterte Gesichter, fremde Gesichter, Ketola starrte ihn an, aber Ketola war in einer völlig anderen Welt.
    Das Lied hatte keinen Titel, und er war kein Kind gewesen.
    Er spürte, dass er aufstand und auf Anna zuging, er sah, dass Anna Angst hatte, er hatte noch nie so viel Angst in den Augen eines Menschen gesehen. Er selbst war es, der Anna Angst machte, und das tat ihm leid, aber er ging weiter auf sie zu, er musste auf sie zugehen, er hörte seinen Schrei, und er dachte an Sanna, er begriff jetzt, dass sie ihm nie wieder nahe sein würde. Er begriff auch, dass Jaana Ilander leben würde, wenn er nur früher erkannt hätte, was wirklich wichtig war.
    Er packte Anna am Arm und schrie sie an, es tat ihm so leid, weil sie nichts, überhaupt nichts dafürkonnte, aber er schrie sie an, er schrie ihr die Frage ins Gesicht. Anna weinte, er wusste, dass Anna nicht antworten würde, solange er schrie, er musste die Frage ruhig stellen, er musste sich beruhigen. Er stellte immer wieder die Frage, und während er sie stellte, wurde er langsam ruhiger, bis er endlich Annas Handgelenk losließ, zu Boden sank und die Frage nur noch ein Flüstern war:
    »Woher kennst du dieses Lied?«

14
    »Was soll das heißen, Sie kennen das Lied? Welches Lied?«, sagte Ketola.
    »Das Lied, das Anna spielt …«
    »Anna kann nicht spielen«, sagte Raija Ojaranta.
    »Lassen Sie uns doch endlich in Ruhe« schrie Arto Ojaranta und umarmte Anna, die an seiner Schulter hing und in heftigen Zuckungen weinte.
    Sie standen über ihm.
    Er saß an das Klavier gelehnt und dachte, dass alles vorbei war. Er spürte, wie die Kraft aus seinem Körper wich.
    »Ich kenne das Lied … diese Melodie hat der Mörder gespielt …«
    »Was?« Ketola starrte auf ihn hinab mit einem grotesk verzerrten Gesichtsausdruck, über den Joentaa fast lachen musste, aber es gab nichts zu lachen.
    »Ich habe die Melodie gehört, ich stand neben dem Mann, während er diese Melodie gespielt hat, und er hat mir erzählt, dass es seine eigene ist.«
    Ketola fixierte ihn, irritiert, aber aufmerksam.
    »Der Mann arbeitet im Handwerksmuseum, das Johann Berg am Tag seines Todes besucht hat. Und Anna kennt die Melodie …«
    »Er war aber Klavierstimmer«, flüsterte Anna.
    »Was?« Ketola wandte sich in Annas Richtung.
    »Er wollte das Klavier stimmen …«, flüsterte Anna.
    »Wann?«, fragte Ketola.
    »Ich weiß nicht …«
    »Wann war das, Mädchen?!«, schrie Ketola.
    »Jetzt hören Sie endlich auf mit dem Geschrei und lassen Sie Anna in Ruhe!«, schrie Ojaranta.
    »Anna, beantworte die Frage!«, sagte Raija Ojaranta.
    »Hör zu, ich muss wissen, wann das war, das ist ganz wichtig für mich«, sagte Ketola, zwanghaft freundlich.
    »Am Tag bevor Tante Laura …«
    »Ja?«
    »Bevor sie …«
    »Ja, was denn?«
    »Sehen Sie nicht, dass Sie das Mädchen quälen?«, sagte Ojaranta.
    »Am Tag danach war Tante Laura nicht mehr da, es ist etwas Schlimmes mit ihr passiert«, schrie Anna.
    Der Satz schien in der Stille nachzuhallen.
    »Dieser Mann … der wollte das Klavier stimmen, und Tante Laura hat ihn reingelassen?«, sagte Ketola.
    »Ja, sie fand es gut, sie hat gesagt, dass mir dann das Spielen noch mehr Spaß machen würde und dass sich bestimmt auch Kerttu freuen würde, Tante

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