Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
Monaten, seit dem Tag, an dem er neben Sanna in Rintanens Büro gesessen hatte und der Arzt sie mit seiner immer ruhigen Stimme über Sannas Krankheit informiert hatte.
Rintanen. Er musste ihn anrufen. Er musste ihm danken für alles, was er für Sanna und ihn getan hatte.
Er watete durch den Schnee zu seinem Wagen, der am anderen Ende des zugeschneiten Waldwegs stand. Seine Schuhe waren nach wenigen Minuten durchnässt, die Kälte schien ihm fast unerträglich, obwohl es ein malerischer Tag war.
Der Wagen sprang nach etlichen Versuchen an. Joentaa stieß vorsichtig zurück und steuerte das Auto auf die Landstraße.
Während er fuhr, bemühte er sich, die vergangene Nacht in klare Bilder zu fassen.
Was war eigentlich passiert?
Er glaubte nach wie vor, was er zu Ketola gesagt hatte. Er glaubte, dass der Täter kein Täter mehr sein wollte.
Vielleicht hatte er das nie gewollt.
Wenn es keine Verbindung zwischen Laura Ojaranta, Johann Berg und Jaana Ilander gab, wenn erst der Mörder diese Verbindung geschaffen hatte, dann musste er sich jenseits des Normalen bewegen, jenseits normaler Motive. Möglicherweise war nur der Mann selbst in der Lage zu begreifen, was ihn trieb.
Er dachte an die Frau, die Sami Järvi angeschossen hatte. Er dachte an die Verhöre, die er mit dieser Frau geführt hatte, stundenlang, ohne ihrer Gedankenwelt näher zu kommen.
Warum hinterließ der Mann, der so lange geschickt im Dunkel geblieben war, jetzt Spuren? Vielleicht weil er gar nicht mehr wusste, Täter gewesen zu sein.
Vielleicht hatte er das nie wirklich begriffen.
Vielleicht begriff der Mann seine eigenen Motive nicht.
Begriff die Frau, die den Politiker angeschossen hatte, ihre Motive?
Der Täter hatte Jaana Ilander gekannt. Er hatte Spuren in ihrem Leben hinterlassen, er hatte sich im Hintergrund gehalten, aber Jaana Ilanders Bekannte und Freunde hatten den Mann wahrgenommen. Nichts dergleichen bei Johann Berg und Laura Ojaranta. Aber auch sie musste er gekannt haben. Er musste doch irgendeine Verbindung zu ihnen gehabt haben, irgendeinen Grund, sie zu töten … aber wenn der Mann den Grund selbst nicht begriff …
Joentaa brach den Gedanken ab, weil er spürte, dass er sich im Kreis drehte. Er schaltete das Radio an. Er versuchte, sich auf die Straße und auf die nichtssagende Musik zu konzentrieren, aber dann kam noch ein Gedanke. Einer, der ihn verblüffte, weil er so nahelag. Wenn es so war, wie er glaubte, wenn der Mörder tatsächlich bereute, wenn er alles rückgängig machen wollte, dann würde er nicht mehr töten. Dann mussten sie keine Angst mehr vor ihm haben, keine weiteren Opfer befürchten. Aber sie würden auch keine weiteren Spuren bekommen.
Vielleicht würden sie den Mann nie finden.
Vielleicht war der Mann schon tot. Er hatte sich getötet, in der vergangenen Nacht, nachdem er alles rückgängig gemacht hatte. Dieser Gedanke erschien Joentaa plötzlich sehr wahrscheinlich.
Als Joentaa das Büro betrat und in Ketolas stechende Augen sah, zerstoben die Gedanken augenblicklich, sie erschienen ihm merkwürdig unangebracht. Was brachte es, über den Mann nachzudenken, was brachte es, vermutlich völlig fehlgehende Spekulationen anzustellen? Sie mussten ihn finden, das war alles.
Er glaubte, genau diesen Satz in Ketolas Augen zu lesen.
Ketola gegenüber saßen ein grauhaariger, stämmiger Mann und eine schmale Frau, beide kannte er nicht.
»Einer meiner Mitarbeiter, Kimmo Joentaa«, sagte Ketola. »Kimmo, das sind Mariella und Antti Ilander, die Eltern von Jaana Ilander.«
Joentaa schüttelte ihnen die Hand. Er wich ihrem Blick aus und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Er tat so, als sei er beschäftigt, während Ketola das Gespräch mit Jaana Ilanders Eltern fortsetzte. Er sah aus den Augenwinkeln, dass die Hände der Frau zitterten. Sie hielt sie eng am Körper und bemühte sich, straff zu sitzen, sie sprach beherrscht und ruhig, aber ihre Hände zitterten. Ketola drückte sein Beileid aus, stellte kurze Fragen und erhielt Antworten, die verpufften, Antworten über Jaana Ilander, wie sie gewesen war, wie sie gelebt, wen sie gekannt hatte.
Joentaa wollte nicht zuhören. Er registrierte mit unvermitteltem Unwillen, dass er nichts, nicht das Geringste mit Jaana Ilanders Eltern zu tun haben wollte. Er hatte genug von trauernden Menschen, er wollte nicht wieder seinen eigenen Schmerz mit dem anderer vergleichen müssen, denn genau das hatte er getan, als er für einen Augenblick im Gesicht des
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