Eisnacht
konnte. Falls im Radio gemeldet worden wäre, dass die Polizei von Cleary nach ihm suchte, hätte sie annehmen können, dass einer ihrer Anrufe Dutch erreicht hatte. Aber das FBI? An seiner Erklärung, warum sie an ihm interessiert waren, fehlten ein paar wesentliche Bestandteile.
Doch wenn sie ihn ansah, fragte sie sich jedes Mal, wie dieser Mann fähig sein sollte, Frauen zu entführen und sie höchstwahrscheinlich umzubringen. Bestimmt hätte sie es gespürt, wenn sich hinter diesen Augen ein Psychopath versteckt hätte. Natürlich waren sie durchdringend, o ja. Oft sprühte auch Zorn oder Ärger aus ihnen. Aber der fanatische, feurige Wahnsinn eines Serienkillers loderte keinesfalls darin.
Am überzeugendsten von allen Argumenten war, dass er ihr nichts getan hatte. Vielmehr hatte er sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt, um ihres zu retten. Es war seine Stimme gewesen, rau vor Mitgefühl und Angst, die sie aus jener Leere zurückgerufen hatte. Dann hatte er sie, ohne sich zu beschweren, stundenlang im Arm gehalten, obwohl das schrecklich unbequem gewesen sein musste, hatte sie so zärtlich gestreichelt und…
Ihre Gedanken klarten in einer plötzlichen Erkenntnis auf. Die Liebkosungen, die sie für den Teil eines wunderschönen Traumes gehalten hatte, waren gar kein Traum gewesen.
Als hätte er ihre Gedanken erspürt, wandte er den Kopf und bannte sie mit seinen blauen Augen. »Ich glaube, es wird Zeit, dass wir ins Bett gehen.«
Kapitel 24
Betsy Calhouns Tochter hatte den Agenten Begley und Wise wenig anzubieten außer zwei Tassen mit heißem Tee und einen Teller mit hausgemachten Haferkeksen. Sie erklärte, dass ihr Mann auf einer Einkaufsreise sei, um Waren für ihren Schreibwarenladen auf der Main Street zu ordern. Sie weinte, als sie ihnen erzählte, wann sie ihre Mutter das letzte Mal gesehen hatte.
»Ich bin bei ihr vorbeigefahren, um nach ihr zu sehen. Da war es drei Uhr nachmittags, und sie war noch im Nachthemd.«
Wie Begley vermutet hatte, litt Betsy Calhoun nach dem Tod ihres Ehemannes an einer klinischen Depression.
»Sie kam kaum noch aus dem Haus«, sagte die Frau. Sie streichelte gedankenverloren die gelbe Katze, die kurz nach der Ankunft der beiden Agenten vom Fenstersims auf ihren Schoß gesprungen war. »Ich habe ihr gesagt, sie soll sich in der Gemeinde oder der Kirche engagieren, sich für Freiwilligenarbeit zur Verfügung stellen, irgendwas unternehmen. Aber ohne Daddy konnte sie sich zu nichts mehr aufraffen.«
»Wenn ich mich nicht täusche«, sagte Hoot, »wurde ihr Auto auf dem Parkplatz bei der Bank gefunden.«
»Das ist mir ein absolutes Rätsel. Sie war seit Monaten nicht mehr auf der Bank. Seit Daddy gestorben ist, habe ich mich um die Finanzen gekümmert. Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, warum ihr Auto dort stand. Höchstens dass sie sich meinen Rat, öfter aus dem Haus zu gehen, zu Herzen genommen hat.« Sie tupfte ihre Augen mit einem bestickten Stofftaschentuch trocken. »Als man den Wagen mit diesem grässlichen blauen Band am Lenkrad fand, war mir sofort klar, dass ihr etwas Grauenvolles zugestoßen war.«
»Wäre es möglich, dass sie sich auf dem Parkplatz mit jemandem getroffen hat?«
»Mit wem zum Beispiel?«
»Genau darum fragen wir«, antwortete Begley mit uncharakteristischer Geduld. »Weil wir zu erfahren hoffen, wer dieser Jemand gewesen sein könnte.«
»Ich habe mir schon das Hirn zermartert, glauben Sie mir. Aber mir will niemand einfallen. Mutter ist kein geselliger, aufgeschlossener Mensch.« Genau gesagt hatte sich Betsy Calhouns Freundeskreis auf die Damen aus ihrer Klasse in der Sonntagsschule beschränkt.
»Ich frage das mit dem größten Respekt vor ihr und dem Andenken Ihres Vaters«, setzte Hoot umständlich an, »aber bestünde die Möglichkeit, dass sie ab und zu Herrenbesuch hatte und das geheim hielt?«
Sie schüttelte energisch den Kopf. »Nicht Mutter. Sie hatte die Liebe ihres Lebens gefunden. Ehrlich gesagt fürchtet sie sich vor Männern. Ich glaube nicht, dass sie je ein Rendezvous mit einem anderen Mann als meinem Vater hatte. Mutter verlässt ihr Haus nur, wenn sie jeden Freitagvormittag zum Friseur, sonntags in die Kirche und hin und wieder in den Supermarkt geht.«
Soweit ihre Tochter wusste, hatte sie nie einen Grund gehabt, in das Sportgeschäft zu gehen. »Was in aller Welt sollte sie da wollen?«
Sie fragten sie, ob sie Ben Tierney kenne. »Wer ist das?«
Hoot beschrieb ihn kurz, aber sie schüttelte
Weitere Kostenlose Bücher