Eisnacht
herein. Er stampfte den Schnee von seinen Stiefeln, bevor er in den gefliesten Eingangsbereich trat. Während sie die Tür hinter ihm schloss, warf sie einen Blick auf die Straße. Als sie draußen keinen Wagen stehen sah, fragte sie: »Du bist zu Fuß hergekommen?«
»Ja, Madam.«
»Wer ist es, Marilee?«, rief William von der Küche her.
»Scott Hamer.«
William kam aus der Küche, die Serviette noch in den Kragen gestopft, sodass sie wie ein Lätzchen auf seiner schmalen Brust lag. »Guter Gott, Scott, was hat dich ausgerechnet heute von allen Nächten hierhergeführt? Hat deine Mutter wieder Migräne?«
»Nein.« Scott sah kurz auf Marilee und sagte dann zu William: »Ich muss Sie unter vier Augen sprechen.«
Offenkundig genauso überrascht über den unerwarteten Besuch wie seine Schwester, sah William ihn prüfend an. »Natürlich.« Dann winkte er Scott ins Wohnzimmer, wo ein Feuer in dem adretten Ziegelkamin brannte. »Bitte entschuldige uns, Marilee.«
»Kann ich dir deinen Mantel abnehmen, Scott?«, fragte sie.
»Nein, es geht schon.«
»Möchtest du was zu trinken?«
»Nein danke, Miss Ritt. Ich bleibe nicht lang.«
Ihre Neugier brachte sie unübersehbar fast um den Verstand, aber sie lächelte ihn freundlich an und sagte: »Lass es mich wissen, wenn du es dir anders überlegst.«
William wartete, bis sie die Tür zur Küche zugezogen hatte, bevor er auf einen Stuhl deutete. »Setz dich doch.«
»Ich bleibe lieber stehen.«
William musterte ihn nachdenklich, zog dabei die Serviette aus seinem Kragen und faltete sie sorgsam zusammen, bevor er sie auf einem Beistelltisch ablegte. »Du klingst verstimmt.«
»Ich werde keine Steroide mehr nehmen.«
Völlig perplex fragte William: »Wirklich? Sind irgendwelche Nebenwirkungen aufgetreten, seit wir zweigleisig fahren?«
Anfangs hatten sie die Steroide oral verabreicht. Weil Wes mit den Ergebnissen nicht zufrieden war und schneller größere Leistungssteigerungen sehen wollte, hatte er Scott die Steroide nach einiger Zeit zusätzlich per Spritze verabreicht. Durch die Injektionen wurde zwar der Stoffwechsel umgangen und diverse Nebenwirkungen vermindert, trotzdem war die Methode bedenklich. Jede Gabe konnte den Körper des Patienten beschädigen oder wesensverändernd wirken. Scott hatte sich über die speziellen Gefahren kundig gemacht, die drohten, wenn mit Injektionen und oraler Einnahme »zweigleisig« gefahren wurde.
»Gesteigerte sexuelle Begierde, aber verringerte Erektionsfähigkeit, wie, Scott?« Williams verschlagene Miene machte ihn nicht nur wütend , sie war auch ekelerregend. Was wusste dieser dreckige, schleimige Perverse schon von Erektionsfähigkeit?
Dann zwinkerte William und lachte widerwärtig. »Wenn ich bedenke, wie beliebt du bei den jungen Damen bist, dann leidest du wohl kaum an Erektionsstörungen. Machst du dir Sorgen wegen ein paar Pickeln?«
Scott ließ sich nicht beirren. »Ich werde sie nicht mehr nehmen. Weder die Spritzen noch die Pillen. Mein Dad zahlt Ihnen eine Menge Geld dafür. Und er zahlt Ihnen noch mehr, damit Sie Ihren Mund halten. Jetzt ist Schluss damit.«
William ließ sich ungerührt auf der gepolsterten Armlehne des Sessels nieder. »Hast du deine Entscheidung mit Wes abgesprochen?«
»Das brauche ich nicht. Ich bin erwachsen.«
»Man ist nicht automatisch erwachsen, nur weil man seinen achtzehnten Geburtstag gefeiert hat.«
Er hörte sich so herablassend an, dass Scott ihn am liebsten niedergeschlagen hätte.
»Vergib mir, wenn ich dich unnötigerweise darauf hinweise, aber Wes wird deine Entscheidung nicht billigen.«
»Wenn er sich nicht damit abfindet, verpfeife ich ihn.«
»Bei wem?«
»Bei der Schulbehörde zum Beispiel. Bei der Zeitung. Glauben Sie mir, ich werde mir Gehör verschaffen.«
»Damit wäre er als Sportlehrer am Ende.«
»Genau darum geht es.«
»Du machst das, um deinen Vater fertigzumachen?«
»Das hat er schon selbst erledigt.«
William kniff die Lippen zusammen, als müsste er sich das durch den Kopf gehen lassen. »Ich verstehe, was du meinst.« Dann hob er gleichmütig die Schultern. »Aber eines verstehe ich nicht. Das hört sich ganz so an, als wäre das ein Streitpunkt zwischen dir und Wes. Warum bist du hier?«
»Weil eine Ihrer Kühe bald keine Milch mehr geben wird. Sie werden Geld verlieren. Ich bin hier, weil ich Sie warnen will, sich nicht einzumischen.«
»Ach, jetzt kapiere ich.« Er lachte auf. »Du willst mir drohen.«
»Wenn Sie es so nennen
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