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Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Titel: Eisseele - Schlieper, B: Eisseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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die Hand schützend vor die Augen. Sie erkennt ihn allein an der Silhouette. Carl sitzt oben auf dem Flachdach und schaut regungslos in ihre Richtung. Soll sie jetzt die Hand zum Gruß heben?
    Sie entscheidet sich dagegen, wendet sich einfach wieder ab. Wie lange sitzt der da wohl schon? Und warum? Es fällt ihr schwer, sich im Weggehen nicht noch mal umzudrehen. Sie spürt seinen Blick zwischen ihren Schulterblättern. Wie ein Laserstrahl, der versucht, sich durch sie hindurchzubrennen.
    Was Zoe nicht weiß: Carl sitzt da nicht zufällig. Er ist Zoe gefolgt. Schon eine ganze Weile. Und er hat gesehen, wie sie auf dem Weg zur Schule auffallend nah an einem Auto vorbeigegangen ist. Sehr nah und sehr langsam. Carl hatte erst gedacht, Zoe wollte in das Auto reingucken, vielleicht auf der Suche nach einer Uhr. Erst im letzten Moment hatte Carl etwas blitzen sehen. Er war überrascht. Schon wieder überrascht. Von Zoe. Seine Mitschülerin hatte dem fetten Audi einen dicken Kratzer verpasst. Vom Kofferraum bis zum Kotflügel. Nein, es war kein Kratzer. Es war eher eine feine Narbe, eine offene Verletzung. Carl hatte vor dem teuren Auto mit der frischen Wunde gestanden und Zoe hinterhergesehen. Sie hatte mit einer schnellen, unauffälligen Bewegung den Schlüssel wieder in der Hosentasche verschwinden lassen und war seelenruhig weitergegangen.

Annäherung
    W ir werden uns heute mit dem Ende der Weimarer Republik befassen«, verkündet die Trumm fast feierlich.
    »Nachdem wir das jetzt gefühlte fünf Jahre durchkauen, ist das wohl auch mal an der Zeit«, murmelt Kim.
    »Ihr werdet euch paarweise zusammensetzen und gemeinsam Gründe für das Scheitern überlegen«, befiehlt die altbackene Lehrerin. »Zoe, du setzt dich bitte zu Carl.«
    Zoe zuckt zusammen. Was soll das denn? Sie braucht einen langen Moment, bis sie reagieren kann. »Warum das denn?«
    »Carl ist neu in der Klasse und mit dem Thema nicht so vertraut. Ich denke, dass du ihm helfen kannst. Pack jetzt bitte dein Heft und zieh um. Wir wollen anfangen.«
    Zoes Hände zittern leicht, als sie Heft, Etui und Buch in ihre Tasche räumt. Sie lässt sich neben Carl auf den Stuhl gleiten, vermeidet es, ihn anzusehen.
    »Dann hilf mir mal schön«, sagt Carl mit provozierendem Unterton.
    »Meinst du, dir ist noch zu helfen?«, antwortet Zoe prompt und wird rot. Sie kann sich nicht dran erinnern, wann sie das letzte Mal rot geworden ist.
    »Du scheinst doch alles zu wissen, bist offenbar hier die Überfliegerin. Sag mir die Gründe für das Scheitern dieser Republik«, befiehlt Carl und zückt einen Kuli.
    »Die Menschen waren einfach zu dumm für eine Demokratie«, diktiert Zoe ihm.
    »Das sind sie doch immer noch.«
    »Findest du das wirklich?«
    »Absolut. Sie werden für dumm verkauft und sie sind so dumm, das zuzulassen.«
    »Das ist doch Unsinn. Wir leben hier im Informationszeitalter. Du kannst niemanden mehr klein und dumm halten«, widerspricht ihm Zoe.
    »Du hältst doch alle für dumm. Und dich selber für sehr schlau, oder? Dumm von dir. Ich falle nämlich auf deine Schau nicht rein. Ich glaube, es gibt nicht nur die liebe, nette Zoe.«
    Sie starrt ihn an. Was will er damit sagen? Was weiß er?
    Er hält ihren Blick aus. Fast scheint es, als würden seine Augen sie angrinsen.
    Zoe wendet den Blick ab. »Los schreib jetzt: Massenarbeitslosigkeit, Inflation, Intrigen, schwache Demokratie, Stärke der NSDAP «, diktiert Zoe wieder.
    Carl schreibt langsam alles auf eine Liste. »Braves Mädchen, hast du ja wirklich fleißig gelernt.« Er lehnt sich zurück. »Aber was ist mit den Reparationszahlungen an Frankreich? Mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise? Der Unterstützung der NSDAP durch die Wirtschaft? Meinst du, das hat nicht auch alles eine Rolle gespielt?«
    Zoe zieht die Augenbrauen hoch.
    Carl grinst zufrieden. »Tja, meine Hose ist nicht von Hilfiger, meine Haare sind nicht gestylt. Aber immerhin war ich vorher auch auf einer Schule. Ob du es glaubst oder nicht. Ich kann sogar lesen und schreiben.«
    Er lehnt sich ein bisschen zurück. »Und in deinen Augen lese ich ein bisschen Angst, oder?«
    Zoes Augen werden ganz schmal. »Wenn du auch schreiben kannst, dann schreib dir mal was hinter die Ohren, und zwar, dass du mit so einer Tour bei mir nicht landen kannst.«
    »Nicht schlecht«, kommentiert Carl und es hört sich nach einem anerkennenden Schulterklopfen an.
    Carl geht zügig die Treppe rauf. Im Treppenhaus stinkt es immer bestialisch. Eine

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