Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
würde. Dann sind wir rechtzeitig da.
Zoe hat es vergessen. Vielleicht auch verdrängt. Kim hat heute Nachmittag ihre Reitprüfung. Der wichtigste Termin weltweit schlechthin – für Kim. Zoe will nicht wieder Franzi vorschieben. Ist schon mal schief gegangen.
Vielleicht komm ich nach. Habe mir wohl einen Virus eingefangen. Komme nicht vom Klo runter , antwortet sie stattdessen.
Und wenn Saskia anruft, sich bei Zoes Mutter nach deren Gesundheitszustand erkundigt? Zwieback bringen will? Zoe zögert nicht. Ihr wird dann eben die nächste Lüge einfallen.
Verstecken
C arl sitzt auf der Stufe zu dem alten Bahnhofslokal. Der Bahnhof ist vor Jahren stillgelegt worden. Das Haus verwittert, die Gleise wachsen zu.
Zoe lässt ihr Rad ins Gras fallen. »Um was geht’s?«
Carl spielt an den Knöpfen seiner Kamera. »Ich bin in so einer Projektgruppe bei uns im Jugendzentrum«, sagt er. »Wir wollen eine Fotoausstellung machen zum Thema ›Verstecken‹. Und da brauche ich noch ein paar Motive. Hübsche Gesichter machen sich da immer ganz gut. Und so alte Gemäuer wie hier. Die Alt habe ich auch gefragt. Aber die hatte keine Zeit.«
»Du hast unsere Lehrerin gefragt, ob sie für dich das Model macht?« Zoe ist echt erstaunt. Und gekränkt.
»Warum denn nicht? Die hat doch ein hübsches Gesicht. Aber sie hat irgendwie rumgezickt.«
»Und da hast du mich als Notnagel gefragt?« Zoe hat sich nicht im Griff, nicht unter Kontrolle. Das passiert selten. Carl merkt es sofort.
»Dich hätte ich so oder so gefragt.«
»Mit oder ohne Klamotten?« Ihre Stimme klingt gleichgültig. Zoe hat sich wieder gefangen. Sie beherrscht sich wieder.
»Wenn du unbedingt willst, kannst du dich ausziehen. Muss aber nicht.«
Sie ist erleichtert, enttäuscht, immer noch gekränkt. Sie will sich eigentlich nicht vor ihm ausziehen. Alleine bei dem Gedanken wird ihr leicht übel. Er hat schon zu viel von ihr gesehen. Zu tief in sie geschaut. Aber dass er noch nicht mal versucht, sie dazu zu bringen, kränkt sie. Er hat einfach kein Interesse an ihr.
»Sag mir, was ich machen soll.« Sie gaukelt Routine vor.
»Versuch dich einfach vor mir zu verstecken.«
Carl stellt irgendwas an seiner Kamera ein. Die sieht erstaunlich professionell und sehr teuer aus.
»Woher hast du die?«, will Zoe wissen.
»Geklaut natürlich. Was erwartest du von einem Typen aus der Bronx?«
Sie schämt sich kurz. Sie weiß nicht, dass er recht hat. Die Digital-Spiegelreflex ist geklaut. Allerdings nicht von Carl selber. Er würde nie das Risiko eingehen. Er lässt klauen.
»Versteck dich jetzt. Oder willst du warten, bis es dunkel ist?«
Sie geht unschlüssig zu einer Baumgruppe, versteckt sich spielerisch. Womit sie nicht gerechnet hat: Carl versteckt sich auch. Sie weiß nie, von wo das Objektiv auf sie gerichtet wird. Carl schießt ein paar Fotos zwischen den Bäumen, die toten Gleise im Hintergrund. In der baufälligen Garage, hinter einem Autowrack. Nach einer Weile huscht Zoe in das leer stehende Haus. Ist hier überhaupt genug Licht? Doch Carl folgt ihr. Das Spiel beginnt Zoe Spaß zu machen. Sie schleicht die morsche Treppe hoch, geht durch den dunklen Flur, versteckt sich im letzten Raum hinter der Tür. Sie atmet flach und leise und lauscht in die Stille. Sie lauscht lange. Außer dem eigenen Herzschlag hört sie nichts. Will Carl sie verarschen? Ist der abgehauen? Sie hat das Gefühl, schon eine Viertelstunde zwischen Spinnweben zu stehen. Als sie gerade beschließt, einfach zu gehen, hört sie eine Stimme direkt neben ihrem Ohr. Carl muss die ganze Zeit auf der anderen Seite der Tür gestanden haben. Wahrscheinlich hat er sie durch den Schlitz beobachtet.
»Hast du eigentlich gar keine Angst mit mir hier alleine?«, hört sie ihn.
Zoe zuckt zusammen.
»Weiß irgendjemand, wo du bist? Mit wem du hier bist?«, fragt er weiter und kennt natürlich die Antwort.
»Du machst mir keine Angst. Vergiss es.«
»Ich nicht. Aber vielleicht schaffen das ein paar Kumpels von mir.«
Zoe stockt der Atem.
»Du hast schon recht. So eine Kamera kostet. So viel Kohle habe ich natürlich nicht. Zwei Freunde von mir haben die besorgt. Dafür musste ich denen allerdings was anbieten.«
Und das soll sie sein? Zoe spürt, wie sich eine Schlinge um ihren Hals legt, sich zusammenzieht und ihr fast die Luft nimmt. Das ist doch wieder Show von Carl, oder? Oder zeigt er jetzt sein wahres Gesicht? Wieso ist sie freiwillig in diese Falle getappt? Wieso hat sie sich
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