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Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Titel: Eisseele - Schlieper, B: Eisseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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ausgerechnet in das letzte Zimmer zurückgezogen? Sie sitzt hier in der absoluten Sackgasse. Sie würde gerne zum Fenster schleichen. Vielleicht hat sie ja Glück und darunter steht irgendwas, auf das sie springen könnte. Aber sie traut sich nicht aus ihrer Ecke raus. Sie hört Carls Telefon klingeln. Er meldet sich nur mit einem knappen »Ja«. Dann hört sie Schritte. Offenbar geht er den Flur entlang. Ihre Chance. Sie schleicht zum Fenster. Darunter ist nichts. Außer blankem Asphalt. Sie wird sich mindestens beide Beine brechen, wenn sie rausspringt. Auf welcher Seite ist die Garage? Sie macht die Augen zu, versucht sich das verfallene Haus von außen vorzustellen. Die Garage ist rechts vom Haus. Das muss auf der anderen Seite des Flurs sein. Sie hat vorhin gesehen, dass die Räume fast alle miteinander verbunden sind. Das heißt, sie muss nicht über den Flur. Sie muss es nur in einen der anderen Räume schaffen. Sie sieht Carl am Ende des Flurs stehen, er schaut aus dem Fenster. Sie nimmt all ihren Mut zusammen, schiebt sich mit dem Rücken an der Wand in das nächste Zimmer. Plötzlich blitzt es auf. Was war das? Fotografiert Carl? Fotografiert er sie? Sie kriecht unter einen alten Holztisch, der da noch steht. Wieder blitzt was. Sie muss hier raus. Dann hört sie wieder Carls Stimme. »Ihr könnt jetzt kommen.« Sie kriecht auf allen Vieren Richtung Nebenraum. Wieder blitzt es. Sie ist an der Tür, zieht die Klinke runter. Nichts passiert. Die Tür ist abgeschlossen.
    »He Süße«, klingt es von der anderen Seite.
    Sie schaut sich panisch um, presst sich in den Türrahmen, guckt direkt in eine Kamera. Es blitzt wieder. In dem Moment weiß sie es. Es war alles Fake. Es gibt keine Kumpels. Er wollte ihr Angst machen. Wollte, dass sie sich wirklich versteckt, nicht nur so tut als ob.
    »Und wie war ich?«, fragt sie und unterdrückt das Zittern in ihrer Stimme.
    »Ganz gut. Ich hatte fast den Eindruck, du hattest wirklich Angst.«
    »Es sind schon einige auf mich reingefallen.«
    »Das kann ich mir gut vorstellen.«
    Sie steht auf, klopft Dreck von der Hose. »Willst du noch ein paar Portraits machen oder hast du genug?«
    »Genug von dir?«
    »Genug für dein Vorstadt-Projekt für vernachlässigte Jugendliche.«
    »Ich denke, mir reicht’s«, grinst er feist. »Für die Porträts frage ich dann doch mal unsere süße Englisch-Lehrerin. So schnell geb ich nicht auf.«
    Der Stich sitzt.
    »Dann sieh nur zu, dass sie auf den Bildern nicht lacht. Hast du gesehen, dass die oben rechts einen fiesen Goldzahn hat? Naja, so hat sie wenigstens ein paar innere Werte«, giftet Zoe. Sie will sich nicht vorstellen, wie Carl und Enya Alt zusammen sind und tut es trotzdem.
    »Ja, sie ist wirklich goldig«, stimmt Carl zu und lässt sich an der Wand runtergleiten. Er guckt zu Zoe hoch und greift wieder nach der Kamera.
    »Wütend bist du auch nicht schlecht.«
    »Wütend? Ich bin höchstens genervt. Ich gehe jetzt.«
    »Willst du nicht mal gucken?« Carl schwenkt die Kamera.
    Zoe zögert, kann aber nicht widerstehen. Sie setzt sich neben ihn auf den Boden, lehnt sich an. »Zeig mal.«
    Sie erschrickt. Auf den Bildern sieht sie gehetzt aus. Sie sieht die Panik, riecht fast den Angstschweiß, der ihr aus den Poren gekrochen ist, auf dem Display.
    »Nicht schlecht«, sagt sie nur.
    »Stimmt, das kriegt die Alt bestimmt nicht hin.«
    »Sicher nicht. Die hätte sich in die Hose gemacht. Da hättest du Fotos für eine Inkontinenz-Kampagne schießen können.«
    »Täusche ich mich, oder magst du Frau Alt nicht?«
    Zoe merkt, dass das Eis dünner wird. Sie möchte schließlich nicht eifersüchtig wirken. Sie braucht schon vernünftige Gründe.
    »Eigentlich ist mir egal, ob ich sie mag oder nicht. Ich möchte einfach eine kompetente Lehrerin in Englisch. Und alleine ihr Akzent verrät schon, dass sie nicht kompetent ist. Am meisten nervt mich ihre Ich-bin-eine-von-euch-Tour. Dieser Kleine-Mädchen-Augenaufschlag, dieses Gekicher und der Young-Fashion-Look. Ich finde es peinlich, wenn eine Lehrerin die gleichen Klamotten wie ihre Schülerinnen trägt. Und zwar peinlich für die Lehrerin.«
    »Du meinst, sie soll erwachsen werden?«
    Sie guckt ihn erstaunt an. »Genau. Das wollte ich sagen.«
    »Aber da können wir doch nachhelfen.«
    Es ist dieses »wir«, das sie auf dem Heimweg berauscht. Die drei Buchstaben klingen in ihr nach. Auf der einen Seite sie und Carl. Auf der anderen Seite Enya Alt. Genau diese Konstellation, diese

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