Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
Dass sie stark genug ist. Sie schiebt Franzi ins Bad, lässt ein bisschen Wasser ein. Franziska hasst es, in die eiskalte leere Wanne zu kommen. Zoe gibt jede Menge Badeschaum dazu. Die kleinen feinen Bläschen faszinieren Franzi immer. Sie greift so gerne danach, spielt mit dem Schaum und manchmal ertönt ihr tiefes kehliges Lachen dabei. Zoe schafft es, die kleine Schwester auszuziehen. Sie nimmt sie wie ein Baby auf den Arm, schwankt unter dem Gewicht, lässt sie etwas unsanft ins Wasser gleiten. Sie hat vergessen, ihr eigenes Shirt auszuziehen, überall sind Kacke-Spuren. Zoe unterdrückt den Ekel, greift nach dem Duschkopf. Genau in dem Moment gleitet Franzi nach hinten. Ihr Kopf gerät unter Wasser. Sie wird hektisch. Arme und Beine zappeln unkontrolliert. Zoe schafft es, den glitschigen Körper nach oben zu ziehen. Franzi holt hustend Luft, wehrt sich, versteht nicht, was passiert, hustet. Zoe kämpft. Versucht, die Schwester zu halten, gleichzeitig zu duschen. Franziska lässt sich zur Seite fallen, Zoe kämpft jetzt mit den Tränen. Sie ist wütend, verzweifelt.
Was wäre, wenn sie jetzt losließe?
Könnte es noch schlimmer kommen? Könnte die Schuld noch größer werden? Ist nicht sowieso irgendwann ein Maximum erfüllt? Untilgbar ist untilgbar. Gibt es mehr als unendlich? Gibt es unendlich plus eins? Ihre Muskeln zittern, ihre Hände auch, ihre Gedanken jagen sich im Kreis, überholen sich gegenseitig.
Sie sieht Franzi vor sich. Wie ihr Gesicht unter Wasser ist. Die Haare wie Algen um sie herumschwimmen. Sie stellt sich vor, dass Franzi sie bis zum Ende ansehen würde. Ungläubig, überrascht. Danach würde sie sich dazulegen. Kann man absichtlich ertrinken? Wäre der Wille stärker als der Überlebenstrieb? Sie starrt Franziska an.
Plötzlich hat sie Angst. Fieberhafte, fürchterliche Angst.
Vor sich selber.
Vor dem, was sie gerade gedacht hat.
Mit einem Ruck zieht sie den Stöpsel aus der Wanne. Sie stellt sich vor, wie mit dem Dreck ihre schmutzigen Gedanken abfließen. In die Kanalisation. Vielleicht ins Klärwerk. Ob man sich da irgendwann wieder saubere Gedanken abholen kann?
Sie rubbelt Franzi trocken, ölt sie lange ein. Das liebt die Schwester, sie windet sich wohlig unter Zoes Händen. Behutsam legt sie ihr eine neue Windel an, zieht ihr einen geblümten Schlafanzug an.
»Ach, hier seid ihr?«
Völlig verschwitzt steht Sonja Kessler in der Tür.
»Hast du sie alleine gebadet?«
»Ja, sie hatte sich eingekackt.«
Die Mutter staunt, sagt aber nichts dazu. Keinen Dank. »Ich mache ihr mal schnell ihren Abendbrei.«
Zoe schiebt die glänzende Franzi ins Esszimmer. Dann beeilt sie sich. Sie will im Bett sein, ehe Sonja Kessler mit Franziska fertig ist. Und sie schafft es. Als ihre Mutter leise die Tür zu ihrem Zimmer öffnet und ein »Schläfst du schon?« in die dunkle Luft flüstert, atmet sie nur gleichmäßig.
Sonja Kessler macht die Tür von außen wieder zu. Sie wird Zoe morgen fragen. Jetzt muss sie eh an den Schreibtisch. Der zusätzliche Fall wird mindestens drei Nachtschichten verursachen.
Ausgeschlossen
Z oe ist nicht überrascht, dass Kim auch am nächsten Morgen nicht im Bus sitzt. Sie versucht aber, ihre Enttäuschung umzuwandeln. Sie will nicht traurig, gekränkt sein. Das sind unerwünschte Bereiche auf ihrer Gefühlsskala. Das gehört nicht zu der Zoe, die sie sein will.
Sie packt einen kleinen Jungen am Arm, zerrt ihn von einer Sitzbank. »Hier sitze ich«, stellt sie fest, lässt sich fallen und drückt ihren Rücken fest in den Sitz. Sie versucht ein Grinsen. Der Junge ist viel zu überrascht und ängstlich, um etwas zu sagen. Zoe registriert das nicht. Sie guckt aus dem Fenster. Will Kim sie etwa bestrafen? Zoe lächelt höhnisch. Als ob sie Kim und Saskia bräuchte. Sie ist hübscher, intelligenter und beliebter als beide zusammen. Was soll das also? Sie braucht die beiden nicht. Sie sieht die Gedanken vor sich. Will sich die Buchstaben einprägen. Wie ein Mantra. Sollen die beiden sich doch zusammentun und gegenseitig ihre falschen Mathehausaufgaben voneinander abschreiben. Nicht ihr Problem. Außerdem muss sie sich endlich nicht mehr mit Saskias Figurproblemen rumärgern und immer neue Scheinargumente finden, warum zehn Kilo Übergewicht an extrem sichtbaren Stellen überhaupt nicht schlimm seien.
Und dann auch noch diese Geschichte mit Fynn! Wie peinlich war das denn? Dieses Milchschnitten-Gesicht. Der hätte prima Werbung für porentief reine Haut machen
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