Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
können, weil er NOCH keine Pickel hatte. Zoe kichert kurz. Der Junge, den sie verscheucht hat, guckt irritiert zu ihr hin. Sie merkt es wieder nicht. Sie steigert sich jetzt in ihre Verachtung für Kim. Dieses Getue rund um die Gäule. Wie peinlich. Alleine diese ganzen Ponyhofbücher, die Kim im Regal hat. Zoe hat noch nie verstanden, warum es Spaß machen soll, angetrockneten Dreck aus dem Fell zu bürsten oder Schlamm aus Hufeisen zu kratzen. Zoe hat rein gar nichts übrig für Pferde. Einmal hat das Pflegepferd von Kim einen fetten Speichelfaden auf ihrer Jacke hinterlassen und sie hatte fast Herpes bekommen. Außerdem fragt sie sich, ob die Mädels im Stall wissen, wie sie von hinten in diesen Reiterhosen aussehen.
Es geht ihr gut, als der Bus vor der Schule hält. Die Gedanken haben sich Stein für Stein um sie gelegt, eine feste Mauer gebaut. Sie fühlt sich unangreifbar. Sie ist sicher in ihrem Gefängnis, da kann ihr niemand etwas.
Als sie lächelnd ins Klassenzimmer kommt, verschwindet das gute Gefühl von jetzt auf gleich. Es fühlt sich an, als ob ein sehr dünner, sehr spitzer Pfeil direkt ihren Bauch trifft. Ihn durchsticht, irgendwo zwischen Milz und Magen oder was da sonst noch so ist.
Sie sieht Kim und Saskia auf der Fensterbank sitzen. Sie quatschen, lachen, sitzen sehr eng beieinander.
Sie fehlen ihr.
Ein Stein scheint weggebrochen. Da ist eine Lücke in ihrer Rüstung.
Sie möchte dabei sein. Mitlachen. Mitreden. Mittendrin sein. Niemand sonst kann ihr das Gefühl der Leichtigkeit geben. Niemand sonst macht diese Last ertragbar. Zumindest zeitweise. Nur diese beiden Mädchen simulieren ihr einen Hauch von Normalität. Nur mit ihnen, unter ihnen kann sie manchmal vergessen.
Carl sieht den Blick, den Schmerz, den Verlust und er weiß, er muss sofort reagieren. Er muss Zoe jetzt auf seine Seite ziehen. Ganz. Jetzt ist gerade Ebbe. Jetzt kann er es schaffen. Er schlendert zu ihr, berührt für eine hundertstel Sekunde ihren Arm. Lang genug, dass die Freundinnen es sehen.
»Was machst du morgen Nachmittag? Schon was vor?«
Zoe verzieht das Gesicht. »Morgen Nachmittag ist unsere Erdbeer-Schlacht«, antwortet sie. »Ist so eine diffuse Familientradition. Zwischen meinen Eltern und denen von Julian. Da darf ich nicht fehlen, wenn ich nicht enterbt werden will.«
Einmal im Jahr feiern Zoes und Julians Eltern dieses Fest. Mit Erdbeertorte, Erdbeerbowle, Erdbeer-Shakes, Erdbeer-Lampions. Es wird von Jahr zu Jahr mehr. Immer extremer. Zoe fragt sich, wann ihr Vater vorschlagen wird, auch mal Erdbeeren zu grillen.
»Das heißt, Julian kommt zu dir?« Carl starrt Zoe an.
»Ja. Und? Wo ist das Problem? Unsere Mütter sind total dicke. Ich kenne den ewig.«
»Schon gut. Alles okay.«
Carl klingt so, als sei das überhaupt nicht gut und schon gar nicht okay.
»Warum sagst du das so komisch?« Zoe versteht wirklich nicht, was die Frage soll.
Carl windet sich, guckt ihr plötzlich sehr gerade in die Augen. »Na ja. Nach allem, was Julian über dich erzählt«, bringt er irgendwann stockend raus. Zoe fällt nicht auf, dass Carl sonst nie etwas nur stockend rausbringt.
Zoe friert. »Was erzählt Julian denn über mich? Dass ich eine Niete in Trivial-Pursuit bin?«
»So ungefähr. Dass du eine Niete im Bett bist. Ehrlich gesagt, hat er neulich behauptet, dass Sex mit einem Sitzsack spannender wäre als mit dir.«
Zoe lacht laut. »Ach so. Das ist so ein blöder Spaß von ihm. Andauernd lässt er Kim und Saskia gegenüber so blöde Bemerkungen fallen. Die beiden vermuten schon ewig, dass zwischen uns was läuft. Julian findet das witzig.«
»Kim und Saskia waren gar nicht dabei«, kontert Carl.
»Dann hat Julian das gesagt, damit irgendjemand den beiden das erzählt.«
»Klar. Genau deswegen hat Julian auch gesagt, dass das auf gar keinen Fall jemand ausplaudern soll«, antwortet Carl ruhig.
Zoe denkt plötzlich an die Berührung. Als Julian mit seinem Arm ihre Brustwarze gestreift hat. War das kein Zufall? Versucht er vielleicht wirklich schon länger sie anzumachen und sie rafft es nicht?
In ihrem Kopf ist kein Gedanke mehr an seinem Stammplatz. Zoe zwingt sich dazu, weiterzuatmen. Sie kramt in ihrem Rucksack, holt wahllos irgendwelche Bücher raus.
»Hat er das? Komisch, ich kann mich gar nicht daran erinnern, was mit Julian gehabt zu haben. Aber wahrscheinlich bin ich vorher eingeschlafen.«
»Damit hast du dir bestimmt üble Erinnerungen erspart«, grinst Carl und geht zu seinem
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