Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
Hand, wechselt erneut die CD. Jetzt bewegt sie sich langsam hin und her. Doch Franzi spürt, dass es nicht darum geht, ihr eine Freude zu machen. Zoe atmet den Stress fast aus jeder Pore aus. Sie fängt an zu singen, horcht völlig panisch, ob es an der Tür läutet. Wenn Franzi wach sein sollte, wird Sonja Kessler sie nicht verstecken. Zoe weiß das. Sonja Kessler hat immer und überall zu ihrer behinderten Tochter gestanden. Und jeder, der in ihr Haus kommt, wird mit Franzi konfrontiert. Außer sie schläft. Und genau das will sie jetzt nicht. Sie wirkt noch nicht mal müde, nur irritiert. Zoe legt eine CD mit Schlafliedern ein, versucht den Rollstuhl schon mal etwas flacher zu stellen. Franzi beschwert sich. Heimlich holt Zoe Kuchen aus der Küche. Franzi liebt Süßes. Nachdem sie zwei Stücke an ihre Schwester verfüttert hat, vielleicht etwas zu hektisch, dreht sie wieder auf. Sie tanzt und tanzt und kümmert sich nicht um Franzi. Die hat sich erst gewunden, etwas gejammert, war dann doch gebannt und schläft um kurz vor vier endlich ein. Zoe duscht schnell, zieht extra alte Klamotten an und lässt die Haare an der Luft trocknen. Carl soll nicht denken, sie würde sich für ihn anhübschen. Als es um kurz nach halb sechs endlich klingelt, ist Zoe schon wieder verschwitzt. Jede Sekunde hatte sie Angst, dass Franzi wieder wach wird. Sie ist bestimmt fünfzehn Mal an ihrer Zimmertür vorbeigeschlichen und hat gelauscht.
»Hier für dich.« Carl hält eine durchsichtige Tüte hoch. Darin schwimmt ein fetter Fisch.
»Abendessen?«
»Quatsch. Das ist ein Karpfen. Für deinen Teich.«
Genau in dem Moment hört Zoe das Weinen. Franzi ist offenbar von der Klingel oder auch von Bauchschmerzen – sie kriegt sonst nie zwei Stücke Kuchen auf einmal – wach geworden.
»Komm, lass uns hochgehen«, schlägt Zoe scheinbar lässig vor.
»Hoch? Du spinnst wohl. Der Kerl hier kommt jetzt in sein neues Heim.«
Carl geht ganz entspannt quer durch den Flur Richtung Terrasse. Sonja Kessler kommt gerade durch die Terrassentür, sie ist auf dem Weg, Franzi aus ihrem Zimmer zu holen. Sie begrüßt Carl im Vorbeigehen, ruft über die Schulter, dass sie gleich mehr Zeit hat, jetzt aber erst einmal ihre Tochter aus dem Bett holen muss. Zoe steht nur da und läuft innerlich Amok. So war nicht ihr Plan. Hier läuft etwas total aus dem Ruder. Die Gedanken jagen durch ihren Kopf.
Sie überlegt, ob sie Carl anbrüllen soll, damit er einfach abhaut. Jetzt. Sofort. Am besten direkt durch den Garten.
Sie überlegt, ob sie einfach gehen soll. Einfach die Tür hinter sich zuziehen und alles hinter sich lassen.
Sie überlegt, ob sie die Zimmertür hinter ihrer Mutter abschließen soll.
Langsam folgt sie Carl in den Garten. Er hat den Fisch schon in den Teich gesetzt.
»Das ist übrigens ein Koi-Karpfen. Die sind total wertvoll. Pass gut drauf auf.«
»Und wie kommst du an so was?«
»Ist mir zugelaufen.«
Sie grinst und hört im selben Moment den Rollstuhl. Dieses summende Geräusch, wenn das Gummi über das Parkett rollt.
Die nächsten Minuten dauern Stunden.
Sonja Kessler redet begeistert auf Franziska ein, zeigt immer wieder auf den dicken Fisch. Franzi gibt peinliche Laute von sich. Zoe tut so als wäre sie nicht da und Carl scannt die Situation, glaubt plötzlich Zusammenhänge zu verstehen. Er guckt Zoe nicht an. Muss er nicht. Er weiß auch so, dass sie seinem Blick nicht standhalten könnte.
»Ich muss jetzt gehen. Meine Eltern warten sicher schon mit dem Essen«, sagt er wie ein gut erzogener Junge in Richtung Sonja Kessler.
Am Tor dreht er sich noch mal um. »Bis Morgen dann.«
Zoe hebt nur die Hand, guckt noch nicht mal auf.
»Ganz netter Typ«, findet Sonja Kessler irgendwann.
Zoe würde am liebsten den Fisch eigenhändig aus dem Wasser holen und zusehen, wie er an Land erstickt. Aber wahrscheinlich würde das auch nicht helfen.
Wenn Saskia oder Kim auf die Message geantwortet hätten, wäre sie am Freitagabend wahrscheinlich nicht zum Salsakursus gegangen. Das wäre die letzte Ausfahrt gewesen. Sie hätte den Plan hingeschmissen, Carls Enttäuschung ertragen. Stundenlang hatte sie an den Worten für ihre ehemals besten Freundinnen gefeilt. Sie wollte keinen Roman schreiben. Wollte nicht unterwürfig klingen. Schon gar nicht vorwurfsvoll oder beleidigt. Sie wollte einen Hauch von Vertrauen wieder spüren, ein bisschen Nähe. Verbundenheit. Die Nachricht sollte leicht klingen. An etwas anknüpfen, das so gut
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