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Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Titel: Eisseele - Schlieper, B: Eisseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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ist der Riss? Wann war der Moment, in dem alles kippte? Es fällt ihr nicht ein. Carl geht langsam auf sie zu. Er hat das Gespräch zwischen Zoe und Kim beobachtet. Er konnte nichts hören, aber es war offensichtlich, dass es kein gutes Gespräch war. Für Zoe zumindest nicht. Für ihn schon. Er legt von hinten ganz sacht eine Hand auf ihre Hüfte.
    »Na, schöne Frau. Keine Lust auf Schule?«
    Sie guckt ihn an, sieht aber irgendwie durch ihn durch.
    »Wenn ich jetzt ein Auto hätte, würde ich durchfahren bis ans Meer«, sagt sie nach einer Pause.
    »Und ich würde dann für dich die Seesterne vom Grund holen«, lacht er leise.
    Er weiß, dass Mädchen so was gerne hören. Und er sieht, dass Zoe wie eine kleine, kranke Katze Streicheleinheiten braucht.

Räuberleiter
    S ie spürt nicht, wie Carl sie immer und überall beobachtet, aufmerksam dafür sorgt, dass Zoes Isolation keine Löcher bekommt. Er braucht sie. Sie ist der Türöffner für eine neue Welt, für sein neues Leben. Zoe soll für ihn die Räuberleiter auf die nächste Stufe machen. Er will weg aus dem Schmutz, erträgt es nicht länger. Nicht die Typen in seiner Gegend, die nach dumpfer Aggression riechen, die nur die Zeit totschlagen und wenn es sein müsste, sich auch gegenseitig. Die so klein sind wie die Ziele, die sie sich gesteckt haben. Er ekelt sich vor den Mädchen, die ihr weißes Fleisch zu Markte tragen, sich benutzen lassen, die jedes Mal neu an Liebe glauben, wenn sie sich flachlegen lassen. Er glaubt, diese Welt nicht länger aushalten zu können. Die Zeit bis zum Abitur ist zu lang. Und er weiß doch jetzt schon: Auch mit dem Abizeugnis wird er immer nur »der aus der Gosse« bleiben. Die Schule will sich wahrscheinlich noch mit ihm schmücken und behaupten, dass Herkunft und Bildungschancen nichts miteinander zu tun haben. Dass – bei Talent und Fleiß – jeder die Chance hätte. Carl sieht eine andere Chance für sich. Sie hat sich zufällig aufgetan. Vor ein paar Wochen hatte er eine Unterhaltung mitbekommen – eigentlich ungewollt. Zwei Lehrer hatten Enya Alt zugewunken, als die vom Parkplatz fuhr. Bei dem Satz »Dass die es überhaupt nötig hat zu arbeiten« war Carl hellhörig geworden. Warum sollte die Alt das nicht nötig haben? Das wollte der zweite Lehrer auch wissen.
    »Die hat doch gerade fett geerbt. Der Alte von der ist mit Aktien reich geworden. Außerdem hat der Software-Programme entwickelt, die ihm die Chinesen aus den Händen gerissen haben. Vor ein paar Wochen habe ich einen Artikel über den gelesen. Das war so ein richtiger Macher. Und jetzt ist er tot und die gute Enya Alt ist die Alleinerbin. Die wäre ’ne gute Partie.«
    Die beiden Lehrer waren lachend in ihre Opel mit Kindersitzen auf der Rückbank gestiegen und sind in ihre Reiheneckhäuser gefahren. Carl hatte Enya Alt grinsend hinterhergesehen. In dem Moment wurde ihm klar, wie sein Lebensplan aussehen könnte. Er würde Enya Alt einen Grund geben zu zahlen. Wenn sie doch eh weiter arbeiten wollte und das Geld ohnehin nicht brauchte? Kein Problem. Er würde die Kohle gerne nehmen. Und dann würde er ein Schiff besteigen, die alte Welt hinter sich lassen und in Australien oder Neuseeland neu anfangen. Er war sich sicher, dass Enya Alt zahlen würde. Carl ist nicht nur kalt, gerissen, zielstrebig und intelligent. Er kann Einsamkeit riechen und er hat sie bei der neuen Lehrerin sofort gerochen. Er weiß, dass sie niemanden zum Reden hat. Niemanden, bei dem sie Hilfe oder Stärke findet. Sie würde zahlen, um die neue Pseudo-Familie des Kollegiums nicht verlassen zu müssen. Und Zoe? Er ist sicher, dass auch sie ihren Weg gehen wird – danach. Aber eigentlich ist es ihm auch egal. Er respektiert sie, weil er vom ersten Moment seine eigene Skrupellosigkeit in ihren Augen gesehen hat. Aber wichtig ist sie für ihn nur bis zum Tag X. Bis zum Zahltag. Vielleicht will sie mitkommen. Weg von dem Fluch, der offenbar auf ihr liegt. Er weiß nicht, was sie treibt. Er spürt nur, dass Zoe sich selber zutiefst egal ist. Wenn er es verlangen würde, würde sie sich mit einem Teppichmesser ritzen. Und sie würde dabei noch nicht mal zucken.
    Carl weiß nicht, wie sehr er mit dieser Vorstellung recht hat.
    Zoe hat es versucht. Ein paar Jahre ist es her, als sie angefangen hatte, sich zu ritzen. Ihr Vater hatte von Kollegen zum Geburtstag einen »Hornhauthobel« bekommen. Er sei jetzt in dem Alter, hatten die gelacht, als sie ihn ihm überreichten. In dem silbernen Teil

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