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Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Titel: Eisseele - Schlieper, B: Eisseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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abtauchen.
    Nach drei Stunden gibt sie es auf. Sie wird nicht mehr einschlafen. Sie weiß es. Leise schleicht sie zu Franziska. Sie setzt sich auf einen Stuhl an ihr Bett, redet leise, ganz leise mit ihr. Irgendwann spürt sie, wie der Schlaf doch noch gnädig um die Ecke kommt und sie legt ihren Kopf auf die Matratze. Die Hand ihrer kleinen Schwester lässt sie auch dabei nicht los.

Der Morgen danach
    S onja Kessler muss weinen, als sie am frühen Morgen in Franzis Zimmer kommt. Vorsichtig legt sie die Hand auf Zoes Rücken. Die schreckt hoch, guckt sich verwirrt um. Sieht ihre Mutter an und sofort wieder weg.
    »Leg dich ins Bett. Ruh dich aus«, sagt die Mutter.
    Aber Zoe will sich nicht ausruhen. Dann beginnt nur wieder das Gedankenkarussell in ihrem Kopf. Sie geht unter die Dusche, lässt heißes und dann eiskaltes Wasser über sich laufen. Sie trocknet ihren Körper ab. Cremt ihn ein, föhnt die Haare, tuscht die Wimpern. Alles wie jeden Morgen und natürlich ist nichts wie noch gestern. Da war sie klar. Jetzt ist sie ein weißes Blatt Papier.
    »Lass uns heute Abend noch mal reden«, schlägt Stefan Kessler vor.
    »Warum? Da gab es wohl ein Missverständnis und das ist jetzt geklärt«, sagt Zoe und löffelt weiter ihren Joghurt. »Ich muss los.«
    Sie will nicht reden. Sie muss erst mal wieder denken lernen. Sie läuft zur Schule, hofft, dass die Bewegung ihr guttut.
    Mitten in der ersten Stunde überrollt es sie.
    »Ich muss mal zur Toilette«, sagt sie und ist schon raus. Sie hat keine Lust, dass irgendjemand die Tränen sieht. Sie spürt, wie eine Welle des Mitleids, des Selbstmitleids ihr den Boden unter den Füßen wegzieht. All die Jahre hatte sie die Last getragen wie einen schweren Rucksack mit Steinen drin. Sie hatte es am Anfang kaum ertragen, Franziska anzusehen. Sie hat sich geschämt, später gehasst. Sie hatte fast die Menschen verachtet, die sie mochten. Sie innerlich verhöhnt. Wie konnten sie ein Mädchen mögen, das so etwas getan hatte? All die Jahre hatten ihre Eltern sie in dem Glauben gelassen. Sie müssen es gewusst haben. Sie weint nicht mehr, sie schluchzt. Die Tränen, die Laute kommen ganz tief aus ihrer Kehle. Sie sieht den Rotz auf ihre Knie tropfen, hockt ewig auf der Toilette. Als sie sich Klopapier abreißt, sieht sie in der silbernen Halterung ihr verzerrtes Gesicht. Sie starrt sich an. Was und wer soll sie jetzt sein? Sie fragt sich ganz kurz, ob sie dieses Gesicht da, sich selber, mögen kann. Sie glaubt es nicht.
    Der Tag, an dem sie sich zuletzt gemocht hat, ist so lange her wie Franziska alt ist. Sie kann sich nicht mehr erinnern, wie Unbeschwertheit geht.
    Mit viel kaltem Wasser spült sie die Tränen in den Abfluss, atmet tief, um den Puls wieder runter zu bekommen. Als sie zwanzig Minuten später wieder in die Klasse kommt, ist sie wieder Zoe. Die alte Zoe. Ihr fällt einfach keine andere ein. Als Kim in der großen Pause auf sie zukommt, macht sich ein leichtes Lächeln in ihr breit. Jetzt. Jetzt wird alles gut. Sie werden diesen blöden Streit beenden, von dem Zoe schon gar nicht mehr weiß, wie er begonnen hat. Sie werden gleich darüber lachen, wie sie sich aus dem Weg gegangen sind. Sie spürt, dass sie ihre Freundinnen jetzt mehr denn je braucht. Nein, sie wird ihnen niemals alles erzählen können. Sie könnte es noch nicht mal alleine in die Dunkelheit flüstern. Aber zusammen mit Kim und Saskia wäre zumindest ein Stück so wie früher. Ein gutes Stück.
    »Die Probe gestern war übrigens super«, sagt Kim.
    Zoe nickt nur.
    »Und wir fanden irgendwie, dass das mit einer ungeraden Zahl noch besser aussieht. Das war vorher irgendwie so statisch. Fast zu symmetrisch. Jetzt ist das viel dynamischer.«
    Zoe versteht nicht, was Kim ihr sagen will. Das, was sie denkt, kann ja wohl nicht wahr sein.
    »Willst du aussteigen?«, fragt Zoe ruhig.
    »Nö. Wir fanden alle, dass es besser ist, wenn du nicht mehr dabei bist. Schließlich hast du ja auch die letzte Probe verpasst.«
    Zoe ist fassungslos. Aber Kim legt noch nach.
    »Wahrscheinlich willst du ja am Wochenende eh lieber was mit Carl machen und nicht mit uns rumhopsen. Ist für dich ja wohl nur noch Kinderkacke.«
    Damit wendet sie sich ab, lässt Zoe stehen.
    Zoe hört das Klingeln, aber reagiert nicht. Die anderen Schüler strömen an ihr vorbei in ihre Klassenräume. Sie bewegt sich nicht. Noch nicht mal, als ein Knirps aus der Fünften sie anrempelt. Sie versucht sich zu erinnern, wann alles angefangen hat. Wo

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