Eistochter
Tonfall ist nüchtern.
Ich beschleunige meine Schritte. Das vertraute Wirbeln macht sich in meinem Brustkorb breit. »Also bin ich ein Versuchskaninchen? Eine Dunkelhexe, die ihr in aller Ruhe beobachten und analysieren könnt?«
Eloise läuft los, um mich einzuholen. »Nein! So ist es wirklich nicht, Lark. Wir versuchen nur herauszubekommen, was du kannst, das ist alles.«
Leuchtend rote Blitze tanzen vor meinen Augen. »Das ist nicht alles, und das weißt du auch! Ihr versucht, vor meinem achtzehnten Geburtstag herauszufinden, wozu ich in der Lage bin. Warum wohl, Eloise, hm? Warum sollte sich irgendjemand dafür interessieren?«
Ich renne mittlerweile. Das Pulsieren in meiner Brust besteht nun aus einer Million schmerzhafter Nadelstiche.
»Ich weiß es nicht.« Sie klingt verwirrt.
»Ach, komm schon! Das glaube ich dir nicht. Du bist doch eine schlaue Hexe.«
»Wirklich, Lark. Ich habe keine Ahnung.«
Ich starre sie finster an. Eloise versucht nicht länger, in meine Nähe zu kommen. Von ihrer sonst so entspannten Art ist nichts mehr zu spüren; sie hat die Augen weit aufgerissen.
»Sie wollen wissen, wie sie mich aufhalten können, Eloise. Du weißt schon – MICH TÖTEN !«
Energie bricht aus meinem Brustkorb hervor, und der Rückstoß wirft mich hintenüber.
Eloise schreit: »Lark, beherrsch dich! Du musst damit aufhören!«
Aber das kann ich nicht. Energie sammelt sich um mich herum. In der Ferne höre ich Donnergrollen. Chaos macht sich auf dem überfüllten Rasen breit.
Eloise springt in die Luft, und binnen Sekunden bin ich von Lichthexen umgeben. Jede von ihnen steht in Verbindung mit ihrem Nebenmann. Sie umzingeln mich wie ein Tier im Käfig.
»Du hast mir das angetan!« Ich stürze mich auf Eloise. Der starke Drang, ihr wehzutun, regt sich, kann aber nicht hervorbrechen. »Du hast es ausgelöst. Ich dachte, du wärst meine Freundin!«
Ich verliere die Kontrolle über meinen schwankenden Körper. Alles verblasst, und ich spüre, wie ich ins Leere trudele.
Ein brennender Schmerz zerreißt mir das Herz und zermalmt es. Er nagt an jedem Teil meines Körpers. Wieder und wieder kehrt der Schmerz zurück. Ich kann ihn nicht länger ertragen: Die Welt um mich herum wird schwarz, und ich versinke in Bewusstlosigkeit.
28
Der Schmerz verschwindet nicht. Er lässt nur kaum merklich nach. Mein ganzer Körper brennt. Die Haare, die meinen Hals streifen, fühlen sich an wie Flammen, die wieder und wieder an meiner Haut lecken.
Ein gedämpftes Summen steigt um mich auf. Ich versuche, den Kopf zu wenden, um meine Ohren freizubekommen, aber ich bin gelähmt. Hinter meinen Augenlidern blitzen Farben auf – Rot und Orange –, gefolgt von Schwärze. Ich will die Augen öffnen, um zu sehen, was diese Blitze auslöst, aber auch dazu bin ich nicht in der Lage.
Luft streicht über mich hinweg, aber es ist keine sanfte, zärtliche Brise. Nein, es fühlt sich an, als würde Sandpapier über meine Haut gerieben und mich wundscheuern.
Jemand trägt mich – oder sind es mehrere? Nahe an meinem Ohr höre ich Eloises Stimme: »Lark, du musst stillhalten. Rühr dich einfach noch ein bisschen länger nicht. Es ist bald geschafft.«
Weiß sie nicht, dass ich mich nicht bewegen kann? Was ist los? Ich möchte fragen, kann aber nicht.
Der Schmerz lässt langsam von mir ab. Meine Lunge füllt sich mit Luft, und ich mache zwei tiefe, keuchende Atemzüge. Ich habe den Eindruck, dabei fast zu ersticken. Jetzt ertönt ein Sprechgesang.
» Illuminae hvit «, wiederholen sie.
Meine Augenlider sind zwar noch schwer, aber nicht mehr zugeklebt. Ich zwinge sie auf. Um mich herum sausen und hüpfen weiße Lichter durch die Luft wie in einem Tanz.
Eines schwebt in meiner Nähe, und ich greife danach. Ohne Vorwarnung ändert der Energieball die Richtung und trifft mich mitten in die Brust. Mein Inneres steht in Flammen. Ich schreie, aber es ertönt kein Laut. Mein Körper verfällt in Krämpfe und gerät außer Kontrolle.
»Halt!«
Der Befehl kommt nicht von mir, sondern von Bethina. Ich kann sie zu meinen Füßen sehen. Sie beobachtet mich. Ihr Gesicht ist schmerzverzerrt.
»Das reicht. Lark hat genug. Wir wirken keine Magie, die andere schädigt.«
Mrs. Channings zornige Stimme ertönt: »Bethina, du machst wohl Witze. Lark hat gerade versucht, uns alle umzubringen, das hast du doch selbst gesehen.«
»Ich habe nichts dergleichen gesehen, Margo.« Bethinas kühle Hand streicht mir übers Bein. »Was ich aber in der Tat
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