Eistochter
Warum muss ich Beck töten?«
»Dein Vater war kein direkter Nachfahre von Charles, deshalb hatte Caitlyns Fluch keine Auswirkung auf ihn.«
»Ich will Beck aber gar keinen Schaden zufügen.«
»Es trifft zwar zu, dass du ihn jetzt noch nicht töten willst, aber du wirst es wollen, das versichere ich dir. Das wollen unsere Anführerinnen immer.« Sie spricht emotionslos, wie beim täglichen Morgenbericht, und streichelt mir den Arm. »Ihr seid nicht füreinander bestimmt. Wenn Margo und ich nicht eingegriffen hätten, hättet ihr einander verabscheut, genau wie Patrick Channing und ich es tun – so soll es einfach sein.«
Ich zucke vor ihr zurück. »Dein Fluch … oder Zauber, was auch immer du getan hast … Hält er mich davon ab, ihn zu lieben?«
Ihre Worte werden sanfter. »Ich wollte dir den Herzschmerz ersparen, den ich durchgemacht habe. Ich dachte, wenn du ihn nie lieben könntest, würde es dir auch nicht viel ausmachen, ihn zu verlieren. Im Erwachsenenalter würdest du dann zu mir nach Hause kommen und Beck vergessen.« Mutter neigt mein Kinn zu sich herüber. »Ihn zu töten hätte dir wenig ausgemacht. Mein Schutz hätte dich davon abhalten sollen, dich in ihn zu verlieben. Stattdessen fühlt ihr euch aus irgendeinem seltsamen Grund zueinander hingezogen.«
Ein Schrei bleibt mir in der Kehle stecken. »Du wusstest, dass die Möglichkeit bestand? Du wusstest, dass ich mich in ihn verlieben könnte, und nun erwartest du von mir, ihn zu töten?«
Mutter seufzt. »Natürlich tue ich das. Es ist meine Aufgabe als deine Mutter, dafür zu sorgen, dass dir nichts zustößt. Aber es hat nicht gut funktioniert, nicht wahr? Dein Herz ist bereits gebrochen.«
Ihre Arme umfangen mich, und ich lege ihr den Kopf auf die Brust und lasse mich von ihrem Heben und Senken einlullen. Ich weiß, dass ich sie eigentlich hassen müsste, dass ich zuschlagen und vor meiner Mutter davonlaufen sollte, aber ich habe ihrer Logik nichts entgegenzusetzen. Machen sich denn die Channings nicht dieselben Hoffnungen für Beck?
Läuft alles darauf hinaus, wer stärker ist, wer mehr Magie auf seiner Seite hat, wer den ersten Spielzug macht?
Ich setze mich auf, schaue in ihre klaren blauen Augen und wünsche mir ungeachtet dessen, was mein Herz will, dass ihr Zauber gewirkt hätte. Wenn ich Beck nicht lieben würde, könnte ich ihn dann ohne Reue töten? Wäre es wirklich so einfach?
Henry gießt Mutter noch ein Glas Wein ein. Sie starrt hinein und lässt den Wein kreisen. »Ich habe nur eine einzige Person mehr geliebt als dich, Lark.« Ihre Augen wenden sich nicht vom Glas ab. »Dein Vater hat mir alles bedeutet. Als man ihn mir genommen hat, als die Lichthexen uns gestellt und ihn getötet haben, weil er mich liebte, wurde mir klar, dass es meine Schuld war. Ich habe zwar nicht den tödlichen Zauber gewirkt, aber er ist meinetwegen gestorben. Das will ich dir ersparen. Mein Schmerz ist endlos. Jeden Tag wache ich in dem Wissen auf, dass Sebastian immer noch hier wäre, wenn ich nicht gewesen wäre.« Mutter steckt mir die Haare hinter dem Ohr fest. »Deshalb habe ich dich mit dem Schutzzauber belegt. Ich dachte, ich würde verhindern, dass es dir das Herz bricht.«
»Gibt es denn nichts, was du tun kannst?« Heiße Tränen laufen mir über die Wangen.
»Du bist bereits auf vielerlei Weise an Beck gebunden. Außerdem bist du allein aus dem Grund, weil du eine Dunkelhexe bist, schon eine Zielscheibe. Weil du meine Tochter bist.« Sie umfasst meine Hände und küsst sie. »Es gibt nichts, was ich tun kann, um das zu verhindern. Wir müssen einfach abwarten und sehen, was passiert.«
»Wenn wir jetzt noch keine Bedrohung füreinander darstellen, warum hast du uns dann voneinander getrennt? Hättest du nicht bis kurz vor unserem Geburtstag warten können?«
Zu meiner Überraschung antwortet Henry: »Es ist ein politischer Winkelzug, Lark. Wir brauchen eine plausible Erklärung dafür, dass ihr beiden kein Paar mehr werden sollt. Zu irgendeinem Zeitpunkt vor eurem Geburtstag werden wir Beck öffentlich als Empfindsamen enttarnen.« Ich setze zu einem Widerspruch an, aber Henry hebt die Hand und bringt mich zum Schweigen. »Er hat bereits zugestimmt. Es ist die einzige Erklärung, die die Nichthexen-Bevölkerung hinnehmen wird – sowohl dafür, dass ihr kein Paar mehr seid, als auch für seinen möglichen Tod. Die Enttarnung der Schüler diente dazu, Verdacht zu schüren.« Er starrt ins Feuer, während er das sagt.
Mutter
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