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Eistochter

Eistochter

Titel: Eistochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Rae Miller
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Brotstück zu entgehen, mit dem sie meinen Kopf bewirft.
    »Wir sitzen beide im Versammlungsrat. Natürlich weiß ich, wo er lebt.« Sie wirft mit einem weiteren Brotstück nach mir, aber ich bin schon auf dem Weg zur Zeltstadt. »Außerdem ist er über dreißig. Ich bin keinen Tag älter als dreiundzwanzig.«
    »Wenn du es sagst«, ziehe ich sie auf. Diesmal trifft Eloises Wurfgeschoss mich am Rücken. Ich lache leise – sie leugnet etwas zu hartnäckig.
    Obwohl ich es kaum erwarten kann, Henry zu finden, gehe ich langsam und brauche so jedes bisschen meiner begrenzten Selbstbeherrschung auf. Unnötig, Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen – besonders nach meinem Ausbruch gestern Abend.
    Im Mittelgang bleibe ich stehen und sehe mich um. Kinder huschen zwischen den Zeltbahnen hindurch und jagen schwebenden Gegenständen nach. Über ihnen flattern bunte Banner im Wind, die anzeigen, welcher Gesellschaft der jeweilige Zeltbewohner angehört.
    Die Nackenhaare stellen sich mir auf. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich spüre, dass mich Augen beobachten. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Ich blicke mich rasch um und wage es, da ich nichts Ungewöhnliches sehe, tiefer in die lärmende Zeltstadt vor.
    Ich finde Henrys Zelt mühelos – Eloises Wegbeschreibung war absolut zutreffend.
    »Henry?« Ich hebe die Leinwandklappe an, die den Blick auf ein höhlenartiges Zeltinneres freigibt, das wie … Nun ja, es sieht wie sein Labor in der Schule aus. Arbeitstische, Mikroskope, ein Schrank mit Proben.
    »Guten Morgen, Lark«, sagt Henry hinter mir.
    Ich wirble herum und lasse die Zeltklappe fallen. »Tut mir leid, ich wusste nicht genau, wie ich anklopfen soll.«
    Er greift um mich herum und zieht die Klappe wieder auf. »Das muss dir nicht leidtun. Ich habe schon mit dir gerechnet.« Er nickt ins Zeltinnere und wartet darauf, dass ich hineingehe.
    Ich richte den Blick wieder ins Zelt, und mir sackt vor Erstaunen der Unterkiefer herunter. Das Labor, das eben noch da war, ist verschwunden. An seine Stelle ist ein gemütliches Wohnzimmer nebst einer einfachen Küche und einem kleinen Büro getreten.
    Henry berührt mich an der Schulter. »Nach dir.«
    Ich gehe durch die Öffnung und setze mich auf ein niedriges Sofa. »Warum hast du den Raum verändert?«
    »Es ist unmöglich, all meine Habseligkeiten in ein einzelnes winziges Zelt zu quetschen, also tausche ich die Räume nach Bedarf aus.« Er reicht mir ein Glas mit etwas Sprudelndem.
    Ich drehe das Glas zwischen den Händen und beobachte, wie die Flüssigkeit sich darin bewegt. Die Erinnerung an den Rotwein kehrt in meinen Verstand zurück. Ich hoffe, das hier schmeckt nicht ganz so schlecht.
    »Du erinnerst dich an gestern Abend«, sagt Henry.
    Ich kann nicht einschätzen, ob das eine Feststellung oder eine Frage ist. Ich lehne mich auf dem Sofa zurück. »Ja und nein. An die Einzelheiten erinnere ich mich nur noch verschwommen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob es wirklich passiert ist, aber es ist mir so echt vorgekommen.«
    Henry nickt. »Es ist wirklich passiert.«
    »Ich weiß. Ich hatte heute Morgen mein Armband am Handgelenk.«
    Ein Luftstoß entweicht Henrys Lunge. »Ja. Nun, Malin wollte, dass du weißt, dass sie mit dir gesprochen hat.«
    »Du stehst immer noch in Kontakt mit ihr«, sage ich in sachlichem Ton. Nach den Ereignissen der letzten Nacht besteht für mich kein Zweifel mehr daran, dass Henry und Mutter sich nahestehen.
    »Ich weiß, wie es aussieht, aber gestern Abend habe ich Malin zum ersten Mal seit über sechzehn Jahren persönlich getroffen.«
    Ich richte den Blick auf ihn – soll er es nur wagen, mich anzulügen!
    »Aber um deine Frage zu beantworten, ja, ich stehe in Kontakt mit Malin. Deshalb hat der Rat mich hergebracht – damit ich als Verbindungsmann fungiere.«
    »Und du dachtest, mich aus Summer Hill hinaus zu meiner Mutter zu schmuggeln, wäre die beste Art, deinen Pflichten zu genügen?«
    Henry reibt sich den Oberarm. »Sie wollte dich sehen und hätte keine Ruhe gegeben, bis es ihr gelungen wäre. Wenn ich dich nicht zu ihr gebracht hätte, hätte sie einen weiteren Angriff befohlen. Es kam mir wie die beste Lösung vor.«
    Vielleicht, aber es ergibt keinen Sinn. »Warum hat sie mich dann zurückgeschickt? War es nicht Sinn und Zweck ihres Angriffs, mich zu holen? Versucht sie nicht, mich zu entführen?«
    Henry faltet die Hände und wirft einen Blick nach links. Ich kann ihm ansehen, dass er mit sich ringt.
    »Was?«,

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