Eistochter
frage ich.
»Die Channings beschützen dich auf Malins Befehl hin.«
Eine Erinnerung blitzt in mir auf – meine Mutter, die sagt, dass sie und Patrick einander verabscheuen. Das kann nicht stimmen. Die Channings arbeiten für meine Mutter? Sie sind Lichthexen, während sie eine Dunkelhexe ist. Ich schüttle leicht den Kopf und beiße mir auf die Lippen. »Nein, sie haben Angst vor mir. Sie versuchen, alles über meine Kräfte herauszufinden, um Beck beschützen zu können.«
»Das mag ja der Fall sein, aber deine Mutter zwingt sie, dich hierzubehalten.«
»Warum sollte sie das tun? Hier bin ich doch wohl kaum sicherer als bei ihr.«
Henry setzt sich aufrechter hin und fährt sich mit der Hand durchs Haar. »Die Attentate auf Malin sind in den letzten paar Monaten häufiger geworden. Niemand weiß genau, wer dahintersteckt, aber wir verdächtigen eine Splittergruppe von Lichthexen. Und wir nehmen an, dass Eamon ihr Anführer ist.«
Ein Zittern schüttelt meinen Körper, und das Zelt dreht sich.
»Er hasst mich«, kann ich gerade noch hervorstoßen.
»Ja, das tut er.« Henry geht um den Tisch herum und setzt sich neben mich. Er löst meine Finger und zeichnet die beruhigenden Kreise.
Das Wirbeln lässt so weit nach, dass meine verkrampften Muskeln sich etwas entspannen können. Beherrschung tritt nach und nach an die Stelle des Zorns.
»Und doch will meine Mutter, dass ich hierbleibe, bei der Gruppe, von der sie annimmt, dass sie ihr Schaden zufügen will.« Irgendetwas, das mir erlauben würde, das Gesamtbild zu sehen, entgeht mir. »Ist es ihr gleichgültig, dass er mich bedroht hat?«
Henry sackt der Unterkiefer herunter. »Was?«
»Eamon hat mich angegriffen, während die Dunkelhexen über Summer Hill hergefallen sind. Er hat nur wegen Beck aufgehört.« Ich entreiße Henry meine Hand. »Und in dem Lied, das er alle singen lässt, geht es darum, Lerchen zu töten. Kellan hat es uns erzählt.«
Henry atmet hörbar aus. »Eamon würde es nicht riskieren, hier gegen dich vorzugehen. Das würde zu viel Aufmerksamkeit auf ihn lenken – selbst wenn er es als Unfall tarnen würde.« Er sagt das mehr zu sich selbst als zu mir. Seine Augen sind dunkel vor Besorgnis.
Ich behalte den Überblick über die vergehenden Sekunden, indem ich die Schläge von Henrys Fingern zähle, die auf seinen Oberschenkel trommeln. Als ich bei zweiundfünfzig bin, steht er auf und geht zur Zeltöffnung. Er steckt den Kopf hinaus und bewegt ihn von links nach rechts, als wollte er überprüfen, ob irgendjemand uns belauscht.
Als er mich dann direkt ansieht, fallen mir die dunklen Ringe unter seinen Augen auf, und ich bemerke zum ersten Mal seine zerknitterten Kleider. Henry hat nicht gut geschlafen.
»Es geht hier um mehr als um die Sache zwischen dir und Beck. Malin macht sich auch wegen der Splittergruppe Gedanken. Statt sich der normalen diplomatischen Vorgehensweise zu bedienen, haben sie gegen Malin und andere hochrangige Staatsfunktionäre Gewalt angewandt. Sie sind erzürnt über die Beschränkungen, die der Staat uns auferlegt hat, und machen sich Sorgen wegen der häufigeren Festnahmen tatsächlicher Lichthexen. Manche glauben, dass Malin unsere Zahl mit Absicht verringert, wie der Staat es seit langem mit den Menschen tut.«
Seine Worte lassen mir das Herz schwer werden. Ich hatte recht. Der Staat, das Ideal des Friedens und des Wohlstands, hat langsam die Zahl der Menschen verringert.
»Tut sie das?«
Henry geht vor dem Schreibtisch auf und ab. Der kunstvolle Teppich auf dem Boden dämpft jeden seiner Schritte. »Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass wir eine diplomatische Lösung finden müssen – eine, bei der so wenige Hexen wie nur möglich ums Leben kommen. Sonst ist die Magie dem Untergang geweiht.«
»Wegen der erblich bedingten Einschränkungen?«
»Ja. Wir werden nie zahlreicher sein, als wir es jetzt sind.«
»Aber was hat das damit zu tun, mich hierzubehalten?«, frage ich.
Sorgfältig darauf bedacht, mir nicht in die Augen zu sehen, stellt Henry einige Gegenstände auf seinem Schreibtisch um. »Es ist Politik – davon verstehst du nichts.«
Der brüchige Waffenstillstand zwischen Ruhe und Zorn hält nicht länger. »Hör auf, mir zu erzählen, dass ich von irgendetwas nichts verstehe! Natürlich nicht – niemand erklärt mir etwas! Ich muss in alten Büchern herumwühlen und Eloise mit Fragen behelligen, um überhaupt an Informationen zu gelangen. Aber es ist mein Leben. Meins.« Ich schlage
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