Eistochter
»Die Ummantelung wirkt sozusagen wie ein Puffer und hilft mit, deine Magie in Schach zu halten. Da du noch nie zuvor Magie eingesetzt hast, müssen wir diese Vorsichtsmaßnahme ergreifen.«
Die Ummantelung klingt angesichts dessen, was ich im Esszimmer angerichtet habe, nach einem guten Einfall. Außerdem habe ich noch keine sieben Jahre heimlich geübt, wie manche Leute, die ich kenne.
»Ich will niemandem etwas zuleide tun«, wiederhole ich.
Die andere Sandale baumelt mir am Fuß, und ich schüttle sie ab. Sie landet fast geräuschlos auf dem Boden, und ich hebe den Blick. Mr. und Mrs. Channing beobachten mich aufmerksam, als würden sie damit rechnen, dass noch mehr geschieht.
Niemand sagt etwas. Wir sitzen einfach im Schatten von Becks Ahnen, starren einander an und lauschen den Eiswürfeln, die in Mr. Channings Glas klirren. Ein Nippen. Ein Klirren. Rassel, rassel, schüttel, nipp.
Die Erinnerung, wie Beck unter dem Baum gesessen hat und wollte, dass ich ihm sage, dass ich etwas für ihn empfinde, sticht mir ins Herz. Ich habe ihn bereits verletzt, mehr als ich es je wollte. Mir kommen die Tränen, aber ich halte sie zurück. Ich reiße mich zusammen und setze eine ausdruckslose Miene auf. Ich kann nicht zulassen, dass sie mich so verstört sehen.
Mr. Channing macht eine Handbewegung, und ein Papiertuch erscheint auf meinem Schoß. »Nun komm schon, Lark. Es besteht kein Grund zur Sorge. Wir wollen dich damit ebenso schützen wie Beck.«
Ich habe die Channings immer gemocht. Meine wenigen Aufenthalte hier waren von Schnitzeljagden, lärmenden Essen im Familienkreis und Spaß geprägt. Zu sehen, dass sie sich Sorgen um ihren Sohn machen, und zu wissen, dass es meine Schuld ist, geht mir nahe. Ich will diese Bürde nicht.
»Da ist noch etwas«, sagt Mrs. Channing knapp.
Laute Rufe aus dem Flur sorgen dafür, dass wir uns alle drei umsehen. Ein Körper prallt gegen die Tür. Noch ein Stoß, und sie klafft auf, um Beck zu enthüllen, der sich mit einem anderen Mann streitet, den ich nicht sehen kann. Bei unserem Anblick hebt Beck die Hand, um den anderen Mann zum Schweigen zu ermahnen.
»Beck?«, fragt Mr. Channing. »Was tust du da?«
»Nichts.« Er verlässt das Zimmer, und die Tür fällt wieder zu.
Mr. und Mrs. Channing tauschen einen besorgten Blick. Mrs. Channing steht von ihrem Sessel auf und geht durchs Zimmer. Sie bleibt stehen, um die Blumen in einer Vase zurechtzurücken, aber ich kann an ihrer starren Körperhaltung ablesen, dass sie angespannt ist. Es ist ein Täuschungsmanöver – ein Versuch, ihre Besorgnis zu überspielen.
Ihr langsamer Spaziergang verschafft mir Zeit, die Informationen über die Ummantelung zu verarbeiten. Meine Magie ist fest eingewickelt, reagiert nicht mehr auf meine mangelnde Beherrschung und stellt daher keine Gefahr für meine Umgebung dar. Mir dämmert etwas.
Mrs. Channing hält inne, bevor sie die Tür öffnet. Der Flur ist leer. Zumindest wirkt er aus meinem Blickwinkel leer. Ich nehme an, dass sie auch nichts sieht, denn sie schließt die Tür und kehrt zu ihrem Sessel zurück.
»Mrs. Channing, bewirkt die Ummantelung noch etwas anderes?«
Sie versteift sich. »Sie hält dich ruhig.«
Ich starre sie unverwandt an. Mrs. Channing versucht, den Blick abzuwenden, und kann es nicht.
»Und?«
»Sie hindert dich daran, starke Gefühle zum Ausdruck zu bringen, da diese Gefühle in Kombination mit ungeübter Magie Schaden anrichten können.« Sie sieht beiseite.
Sie muss sich irren. Ich habe gerade heute Morgen auf dem Rasen Eamon gegenüber starke Gefühle zum Ausdruck gebracht. Natürlich habe ich eigentlich nichts getan, aber ich wollte es. Ich reiße die Augen auf, als mir klar wird, was geschehen ist. Ich konnte nichts tun. Genau, wie ich Beck nicht sagen konnte, was ich empfinde.
»Wie …« Ich zögere. »Liebe?«, frage ich dann, weil ich meine Theorie beweisen will.
»Die ist irrelevant. Du bist eine Dunkelhexe und damit unfähig zu lieben.«
Ein kaltes Taubheitsgefühl breitet sich in meinem Körper aus und arbeitet sich bis zu meinem Herzen empor. Ich starre sie mit aufgerissenem Mund ungläubig an. » Unfähig zu lieben? «
Die Taubheit weicht Zorn. Ich stelle einen Fuß auf den Boden, dann den anderen. Mein Körper zittert, als ich aufstehe. Mrs. Channing starrt mich ungläubig und panisch an. Mit kleinen, zielstrebigen Schritten gehe ich näher an ihren Sessel heran, bis ich über sie gebeugt dastehe. Mr. Channing rührt sich nicht. Seine
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