Eistochter
Leben lang gehorsam. »Ich komme gleich!«
Ich versetze dem Bett des Anstoßes einen Tritt. Das sorgt auch nicht dafür, dass ich mich besser fühle. Das Duschen kann warten, aber ich brauche etwas Sauberes zum Anziehen. Ich fühle mich ekelhaft. Im Koffer gleich neben mir finde ich ein weißes Sommerkleid mit lilafarbener Schleife und ziehe es über. Ein kurzer Blick in den Spiegel, um mir das Haar glattzustreichen, dann bin ich fertig.
Die Treppe stöhnt unter meinem Gewicht und spielt eine traurige Begleitmusik zu meiner Stimmung – jedes Knarren unterstreicht meinen immer übellaunigeren und verwirrteren Zustand.
Bethina wartet am Fuß der Treppe auf mich. Das gewohnte Leuchten ist aus ihren Augen verschwunden, so als ob es sie bekümmern würde, mich zu sehen. »Die Channings wollen mit dir sprechen.«
Ich werfe einen Blick auf die Tür des Empfangszimmers. Von der anderen Seite höre ich gedämpfte Stimmen und das Klirren von Eiswürfeln. Bethina bedeutet mir, ihr zu folgen, und das tue ich.
Wenn der Flur einer Fotogalerie gleicht, dann ähnelt dieser Raum einem Mausoleum. Die Wände sind von lebensgroßen Porträts von Menschen bedeckt, die, nach der Mode darauf zu urteilen, längst tot sind. Es ist unheimlich, so als würden sie alle auf mich herabstarren und Anstoß an dem nehmen, was sie sehen.
»Setz dich, Lark«, sagt Mrs. Channing und deutet auf einen seltsamen quadratischen Sessel gegenüber von ihrem eigenen.
Es kostet mich Mühe, eine bequeme Sitzhaltung auf dem unebenen Polster zu finden, und ich bin fast versucht, diesen Steinhaufen zugunsten des Bodens aufzugeben. Womit haben sie diese uralten Dinger nur gestopft?
Bethina stellt sich neben mich und legt mir die Hand auf die Schulter. »Möchte jemand etwas trinken?«
»Einen Scotch, bitte«, sagt Mr. Channing. Wir anderen ignorieren einander.
Bethina legt die Handflächen aneinander, und ein Serviertablett erscheint auf dem Couchtisch. Von einem Augenblick auf den anderen. Ich blinzle und verdaue die Tatsache, dass ich wirklich gerade mit angesehen habe, wie meine Hausmutter etwas aus dem Nichts herbeigezaubert hat.
»Ich lasse euch allein miteinander sprechen.« Bethina reicht Mr. Channing seinen Scotch, bevor sie das Zimmer verlässt und die Glastür hinter sich zuzieht.
In dem übergroßen Sessel komme ich mir winzig vor. Ich kann mit den Beinen nicht den Boden erreichen, und meine rechte Sandale fällt ab. Ich hebe sie nicht wieder auf, sondern falte stattdessen die Hände im Schoß und zähle, wie oft meine Beine hin und her baumeln.
Mehrere endlose Minuten lang sagt niemand etwas. Ich fühle mich ein wenig wie ein Tier im Käfig. Es liegt an der Art, wie Mrs. Channing mich anstarrt: Sie neigt den Kopf zur Seite, eine Geste, die ich mittlerweile kenne, und kneift die Augen zusammen, als ob sie sich konzentrierte.
Ich lasse den Blick durchs Zimmer schweifen, über antike Möbel und Gemälde. Es gibt einen Kamin – etwas, das der Staat missbilligt, weil es die Luft verschmutzt – und mehrere Regale, die vor altmodischen Papierbüchern überquellen. Eine gut bestückte Bar steht zu meiner Linken. Seltsamerweise befindet sich dort, wo früher immer der Wandbildschirm war, Mr. Channings Sammlung alter Münzen, perfekt angeordnet und gerahmt an der Wand.
»Wo ist der Wandbildschirm?«, frage ich und breche so das Schweigen.
Mrs. Channing öffnet die Augen und sagt ruhig: »Sie sind alle entfernt worden. Wir halten es für das Beste, dass du dich, solange du hier bist, auf deine Studien konzentrierst. Außerdem benötigen wir keine Wandbildschirme, um zu wissen, was in der Welt vorgeht. Zu dem Zweck können wir Magie einsetzen.«
»Wie?«
Mrs. Channing bedenkt mich mit einem kalten Lächeln. »Das geht dich nichts an.«
Und damit hat es sich. Sie haben mich wirkungsvoll von der Außenwelt abgeschnitten. Kein Armband. Kein Wandbildschirm. Nichts.
»Solange du hier bist, wirst du dich an ein paar Regeln halten«, sagt Mr. Channing, »und im Gegenzug werden wir dir eine Ausbildung zuteilwerden lassen, um dir zu helfen, deine Magie in angemessener Weise benutzen zu lernen.«
»Also lassen Sie mich bleiben? Obwohl es gefährlich für Beck ist, in meiner Nähe zu sein?«
»Du bist eine ungeübte Dunkelhexe. Es ist in unserem eigenen Interesse, dass du lernst, dich zu beherrschen«, antwortet Mrs. Channing.
Ein Hauch von Hoffnung regt sich in meiner Brust. Vielleicht kann ich ja doch geheilt werden. Warum sollten die Channings
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