Eistochter
sinken.
Wie kann man jemanden hassen, mit dem man sein Leben lang gelacht hat?
Ein Atemzug, dann ein weiterer. Ich spüre, wie die Traurigkeit langsam aus meinem Körper weicht und Zorn in die Lücken einströmt, die sie hinterlassen hat.
Warum hat mir niemand etwas davon erzählt? Haben alle gehofft, dass ich eines Tages »geheilt« aufwachen würde?
Meine Wut wächst noch, als ich die Hintertür aufreiße, die in die Küche führt, und weiter ins Esszimmer marschiere. Der Boden ist immer noch von Stühlen übersät.
Was soll ich nur tun? Wenn Becks Eltern das hier sehen, werden sie mir nie verzeihen. Was, wenn sie mich zwingen abzureisen? Was, wenn sie Beck und mich voneinander trennen?
Aber vielleicht wäre das nicht das Schlechteste, wenn man bedenkt, dass ich ihren Sohn töten werde, wenn er in meiner Nähe bleibt.
Ein Ächzen, als ob ein Baum sich im Boden verziehen würde, gefolgt von einem lauten Knacken. Ich wende den Kopf zum Fenster, um zu sehen, ob die Trauerweide umgestürzt ist. Aber dann sorgt ein noch lauteres Knacken dafür, dass meine Aufmerksamkeit sich wieder auf das Esszimmer richtet.
Der Tisch liegt in zwei Teile zerbrochen da.
Ich starre sie an, und meine Gedanken überschlagen sich in dem Bemühen zu verstehen, was geschehen ist. Wie im Zug zittern mir die Hände.
Oh Gott. Ich habe das getan.
Einen Moment lang spiele ich mit dem Gedanken zu versuchen, die beschädigten Möbel zu reparieren, aber sie sind vollkommen hinüber. Und wenn ich noch nicht einmal weiß, wie ich die Möbel zerstöre, wie zur Hölle soll ich sie dann reparieren?
Ich renne die knarrende Treppe in den ersten Stock hinauf. Unser Zimmer liegt rechts auf halber Strecke des Flurs, und die Tür ist einen Spaltbreit geöffnet.
Sobald ich sicher drinnen bin, schlage ich die Tür hinter mir zu und mache einen Bogen um die beiden großen Reisekoffer, die mitten auf dem Boden liegen, bevor ich auf dem Bett zusammenbreche.
Ist das also Magie? Dinge zu zerstören und Wetteranomalien zu verursachen? Leute zu erschrecken und ein Leben im Schatten zu führen? Zu töten?
Erinnerungen an Maz und mich im Zug überfluten mein Gehirn. Wir haben geredet, und etwas, das er gesagt hat, hat mich aufgeregt. Meine Hände haben zu zittern begonnen, und dann ist alles zerbrochen. Aber das ergibt keinen Sinn! Warum sollte ich mir selbst wehtun? Mit dem Sturm ist es genauso: Warum hätte ich das tun sollen?
Ich wälze mich auf den Bauch und schüttle die Sandalen ab. Wenn meine Mutter weiß, wo ich bin, und mir wirklich Annalise und Callum nachgeschickt hat, wie lange wird es dann noch dauern, bis sie den Staat auf Summer Hill loslässt? Was wird geschehen, wenn sie Becks Eltern öffentlich beschuldigt, mich entführt zu haben? Das wäre ein hervorragender Anlass, sie als Empfindsame zu demaskieren – besonders wenn sie sie tatsächlich hasst, wie Beck behauptet.
Das bringt mich auf eine andere Frage: Warum bin ich noch hier? Die Channings wissen, dass ich eine Bedrohung für Beck darstelle, und Eamon kann mich ganz eindeutig nicht ausstehen. Warum bin ich also nicht wieder in den Schnee hinausgeworfen worden?
Mit einem Seufzen reibe ich mir das Gesicht am Kissen. Unser Geburtstag. Mein Leben lang habe ich diesen Tag geliebt, aber jetzt hängt er über meinem Kopf wie eine Zeitbombe, die wochenlang tickt, bis ich – was? Beck töte?
Aber das ist mein Leben, also muss ich doch in der Lage sein, irgendeinen Aspekt davon zu kontrollieren, nicht wahr?
Nur dass Beck gesagt hat, dass die Erwachsenen schon jahrelang daran arbeiten und immer noch keine Lösung haben. Der Ernst der Lage belastet mich – es ist alles absolut unfair. Ich habe mir nichts von alledem ausgesucht, und ich will es auch jetzt nicht. Ich schlage mit den Fäusten auf das harte Kopfteil des Betts ein, bis die Schmerzen bis in meine Arme ausstrahlen.
Und dann wird es mir bewusst: Irgendetwas stimmt nicht.
Ich starre das Bett an. Es ist ein normales Bett mit einem blau-weißen Vogelmuster auf der Tagesdecke. Ein ganz gewöhnliches Einzelbett – aber es steht nur eines hier.
Nur eines.
Das hier ist nur mein Zimmer. Beck schläft in einem anderen Raum. Ein harter Knoten nistet sich in meinem Magen ein. Hat er seine Sachen wegbringen lassen? Oder waren sie gar nicht erst da?
Von unten ruft Bethinas Stimme nach mir: »Lark? Du musst herunterkommen.«
Ich habe keine Lust, jemanden zu sehen. Aber Gewohnheiten lassen sich schlecht abschütteln, und ich bin schon mein
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