Eistochter
setze, weichen die Hexen in meiner Nähe zurück, als wäre ich giftig. Lass nicht zu, dass sie sehen, wie sehr dich das aufregt. Ich stähle mich gegen ihre missbilligenden Blicke und spaziere mit zusammengebissenen Zähnen zum vorderen Ende der Schlange. Niemand sagt etwas dagegen.
Nachdem ich mir den Teller gefüllt habe, lasse ich den Blick über die Menge schweifen und halte Ausschau nach Beck. Aber ich sehe nur feindselige Gesichter, die jede meiner Bewegungen beobachten. Ich frage mich, ob er mir immer noch böse ist oder ob er von mir ferngehalten wird. Es spielt keine Rolle. Er ist jedenfalls nicht hier. Und das ist wahrscheinlich auch gut so … bis ich gelernt habe, mich zu beherrschen.
Mit hängenden Schultern bleibe ich vor einem freien Sitzplatz stehen.
»Ist der Platz schon besetzt?«, frage ich eine Gruppe junger Hexen.
Sie halten die blonden Köpfe von mir abgewandt, als sie ihre Teller einsammeln und gehen. Ich hole zitternd Luft, und meine Lippen beben leicht. Ich bin mir nur allzu bewusst, dass die Hexen um mich herum in zwei Lager gespalten sind: die, die so tun, als wäre ich gar nicht da, und die, die mich finster beäugen und mir böse Blicke zuwerfen.
Ich würde alles darum geben, jetzt Kyra bei mir zu haben. Oder Maz. Aber was sage ich da? Sogar Ryker und Lina wären besser als das hier.
Während ich einsam vor mich hin knabbere, betrachte ich die riesige Zeltstadt. Sie erstreckt sich vom Fuße des Hügels, auf dem das Haus steht, bis zum Rand des Waldes, hinter dem der See liegt. Es müssen gut tausend Zelte sein.
Nach den Flaggen zu urteilen, die auf den Zelten flattern, ist die Stadt in vier Bereiche aufgeteilt. Rot und Blau ganz hinten, Gelb und Orange näher bei mir. Grün – die Farbe unserer Gesellschaft – dominiert die Mitte, wo die vier Ecken einander berühren.
Unerwartet lässt sich Mrs. Channing auf den Sitzplatz gegenüber von mir gleiten. Das Sonnenlicht wird von ihrem smaragdgrünen Kleid reflektiert. Ein rascher Blick auf mein eigenes lavendelfarbenes Sommerkleid bestätigt mir, dass es ganz schlicht ist.
»Bist du gleich fertig? Du triffst dich in zehn Minuten auf dem Westrasen mit Dasha.« Sie deutet auf die gegenüberliegende Seite des Hauses.
Eine Gruppe Kinder steht links von uns und ist in ein lautstarkes Gespräch vertieft. Die Farben ihrer Tuniken mischen sich wie eine zerlaufende Buntstiftschachtel. Plötzlich huscht ein kleiner Junge an uns vorbei zur Schlange am Frühstücksbüfett. Die anderen feuern ihn an und jubeln ihm zu, als er an unserem Tisch vorbeikommt.
Auch sie haben Angst vor mir.
Ich sehe stirnrunzelnd meinen Teller an. »Meinen Sie, dass es ihr recht sein wird, mit mir zu arbeiten?« Die armen Erdbeeren auf meinem Teller haben keine Chance gegen die scharfen Zinken meiner Gabel. Ich steche auf sie ein, zerquetsche einige und spieße andere auf.
»Dasha ist schon ganz gespannt darauf, mit dir zu arbeiten. Das sind wir alle«, sagt Mrs. Channing.
Fast glaube ich ihr. Fast.
Ein Aufblitzen von Kupfer hinter ihrer Schulter erregt meine Aufmerksamkeit. Eine hübsche Hexe, nicht viel älter als ich, beobachtet uns. Sie versucht noch nicht einmal, es zu verbergen, als ich sie meinerseits anstarre. Stattdessen schenkt sie mir ein breites Lächeln und hebt zum Gruß die Hand mit gespreizten Fingern.
Na, das ist … etwas Neues.
»Du wirst sie mögen. Sie ist auf ihrem Gebiet eine Expertin«, zieht Mrs. Channing mich wieder ins Gespräch.
»Toll!« Ich heuchle Begeisterung. Niemand hat mir je vorgeworfen, eine schlechte Schülerin zu sein, und ich werde ihnen auch jetzt keinen Anlass dazu geben. Ich werfe noch einen Blick über Mrs. Channings Schulter, aber die junge Hexe ist verschwunden. »Ich schätze, ich sollte losgehen.« Ohne Mrs. Channings Antwort abzuwarten, hebe ich meinen Teller hoch und stehe auf.
Sie berührt mich am Arm. »Einen Moment.«
In ihrer Stimme liegt eine Sanftheit, die gestern nicht vorhanden war.
Ich warte, setze mich aber nicht wieder hin.
Sie seufzt. »Es tut mir leid, wie ich mich gestern verhalten habe. Es war nicht fair von mir zu erwarten, dass du dich nicht aufregen würdest. Vielleicht habe ich mich von meiner Furcht übermannen lassen, aber du hast schließlich mein Zuhause zerstört.«
Ihre Worte klingen nach der Mrs. Channing, die ich immer gekannt habe, aber irgendetwas fühlt sich falsch an, gezwungen. Meine Augen verengen sich zu zwei schmalen Schlitzen.
»Ich mochte dich immer, Lark, obwohl
Weitere Kostenlose Bücher