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Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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speziellen Grippevirenstammes. Der Rest schwieg, sah auf den Boden oder zum Fenster hinaus.
    Juliette Binoche sah aus wie Heidi. Sie hatte rotblondes, kurzes Haar und die Figur einer sportlichen Frau. Wippend kam sie auf ihn zu und streckte die Hand aus:
    »Ehrat«, klang es fröhlich.
    »Eschenbach.« Der Kommissar blickte in ein selbstbewusstes Gesicht: ungeschminkt, mit einer kleinen, hübschen Nase und Sommersprossen. Einen Moment erschrak er. Was er sah, war das scheinbar perfekte Abbild von Judith, seiner großen Liebe aus der Jugendzeit. »Zum Glück holen Sie mich ab«, sagte er, nachdem er sich wieder gefasst hatte. »Ich wäre verloren in diesem Labyrinth …« Er deutete auf die Stellwände, an denen das Leben von Albert Einstein hing, und auf die Installationen zur Relativitätstheorie.
    »Mercedes hat den Stern, wir haben Einstein.« Offenbar ihre Standardantwort, wenn man sie auf den Physiker mit dem Wuschelhaar ansprach. Sie ging voraus, und Eschenbach folgte dem Klacken ihrer Stiefeletten, über Treppen und schlecht beleuchtete Gänge. Er dachte an Judith. An die Jahre mit ihr, vor über dreißig Jahren. Und er fragte sich, warum es damals so hatte enden müssen.
    Das Büro des Professors war ein großer, fast quadratischer Raum. Und wie schon im Hauptgebäude dominierten die Farben von hellem Holz und rau belassenem Beton.
    Der kleine Mann hinter dem großen Schreibtisch erhob sich.
    »Mein lieber Eschenbach«, rief er quer durchs Zimmer.
    Der Kommissar wollte »Hallo Theo« rufen, sagte dann aber nur irritiert »Hallo«. Obwohl Eschenbach gut zwei Kopf größer war, es war nicht mehr der kleine Theo, der ihm gegenüberstand. Und das lag nicht am weißen Kittel. Dem Kommissar war als Erstes Winters Kopf aufgefallen: Er wirkte im Vergleich zum Körper zu groß, zu wuchtig und die dunklen Augen, die etwas hervorstanden, hatten einen fordernden Blick.
    »Setzen wir uns«, sagte Winter und wies mit dem Kinn auf einen runden Tisch mit vier Holzstühlen. Soweit es Eschenbach überblicken konnte, war der Tisch der einzige runde Gegenstand im Raum.
    Juliet Ehrat tischte zwei Espresso und eine Glaskaraffe mit Leitungswasser auf. Daneben stellte sie zwei Gläser und eine kleine Rüeblitorte.
    »Kuchen gibt’s nur wegen dir … das gibt’s sonst nie«, bemerkte Winter.
    Juliet lächelte. »Ihr werdet euch sicher viel zu erzählen haben«, sagte sie noch, dann schloss sie die Tür.
    Und Winter erzählte. Nach den Jahren an der ETH war er mit einem Stipendium des Nationalfonds in die USA gegangen und hatte sich an der Stanford University habilitiert, in Biochemie; und dann war er auf dem Gebiet der Erforschung psychotroper Substanzen ein ganz Großer geworden. Er berichtete über Forschungsgelder in Milliardenhöhe und deutete an, dass die Ergebnisse seiner Arbeit ihm möglicherweise einmal den Nobelpreis einbringen könnten.
    Eschenbach trank in der Zwischenzeit den Espresso und aß drei Viertel der Torte. Seit seiner Studienzeit hatte er nicht mehr auf Holzstühlen gesessen; ihm schmerzte der Hintern. Er erinnerte sich an die Wanderungen, die sie in der Schule unternommen hatten, auf den Bachtel oder den Rigi, und an Theo, der zurückfiel; zusammen mit dem Lateinlehrer, der zuckerkrank war, oder der Frau des Klassenlehrers, die Mitleid mit dem Kleinen hatte. Und immer wieder kam ihm Judith in den Sinn.
    »Und jetzt bin ich wieder hier«, sagte Winter, breitete die Arme aus und grinste. »Meine Alma Mater. Herrgott, zwanzig Nobelpreise hat sie auf dem Gewissen … in Chemie, Medizin und Physik natürlich.« Seine dunklen Augen funkelten.
    »Erspar mir bitte die Einzelheiten«, sagte der Kommissar. »Ich habe kürzlich von Bornand geträumt, das hat mir gereicht.«
    Winter lachte. »Weißt du noch, was er immer zu dir gesagt hat? Eschenbach, Sie sind der lebende Beweis für das erste Newton’sche Axiom – genannt: das Trägheitsprinzip.«
    Jetzt musste auch der Kommissar lachen. »Ja, wenn nichts geht, dann geht nichts.«
    »So ungefähr.«
    »Chemie, Physik … das sind alles nicht meine Fächer.«
    »Aber, aber …« Der Professor hob seine buschigen Brauen. »Albert Einstein! Den wirst du doch mögen, oder?«
    Nicht schon wieder der, dachte Eschenbach. »Ich habe gesehen, dass ihr gerade eine Ausstellung über ihn macht.«
    Zufrieden fingerte Winter an seinem silbernen Kugelschreiber. »Einstein lehrte hier theoretische Physik von 1912 bis 1914 , nachdem er wie ich hier studiert hatte …«
    »Ich

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