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Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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Schweiz ist Fluoxetin. Das hatte ich Herrn Zgraggen damals verschrieben. Allerdings …« Der Arzt zögerte einen Moment. »Bei unseren letzten Gesprächen … Martin sagte mir, dass er es nicht mehr brauchte. Er machte einen gefestigten Eindruck auf mich.«
    »Wenn er diese Packungen nicht von Ihnen hatte, woher könnte er …«
    »Aus dem Internet!«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Sie können das Zeugs bestellen wie, wie …« Dr. Eberhard suchte mit den Händen einen Vergleich.
    Eschenbach nickte. Er hatte sich so etwas gedacht.
    »Wie Gummibärchen!«, kam es hintendrein.
    Maria Zgraggen sah auf den Boden.
    Eine Zeit lang sagte niemand etwas. Dann räusperte sich der Arzt: »Es kommt immer wieder vor, dass ein Patient auf uns den Eindruck macht, er hätte Tritt gefasst … dass es aufwärtsgeht mit ihm. Das ist der heikelste Punkt einer Therapie. Wir wissen heute, dass ein solcher Stimmungsumschwung auch andere Gründe haben kann: den Entschluss zum Suizid zum Beispiel oder zu einem Vergeltungsakt. Trifft der Patient einen solchen Entschluss, im Stillen für sich, wird er in der Folge meistens von einem Gefühl der Erleichterung getragen. Er plant seine Sache und er kennt deren Ausgang. Diese Sicherheit spiegelt er, und wir, sein Umfeld, interpretieren diese Anzeichen in eine ganz andere Richtung.«
    Eschenbach dachte an die Geschenke für die Kinder und an das, was der Hausmeister gesagt hatte.
    »Ich wäre froh, wir könnten hier aufhören«, sagte Dr. Eberhard mit einem Blick auf seine Patientin.
    Sie erhoben sich.
    Als Eschenbach wieder draußen stand, atmete er tief durch. Er hatte den Eindruck, dass sich der Nebel etwas verzogen hatte, dass vielleicht sogar die Sonne noch rauskommen würde. Es war ein ähnliches Gefühl wie nach einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt, wenn alles vorbei war und er wieder Lust auf eine Tafel Schokolade bekam.
    Was er gehört hatte, war nichts Neues gewesen. Es reihte sich geradezu nahtlos in die Aussagen der Gerichts- und Polizeipsychiater ein, die zur Erklärung jeder Tragödie, und sei sie noch so grauenhaft, ex post und ex mortem irgendwo in der menschlichen Seele ein Plätzchen fanden.
    In den folgenden Tagen schloss Eschenbach den Bericht zum Fall Crazy Girl ab und versuchte das vom Kanton angeordnete Sparprogramm im Jahresbudget unterzukriegen. Zwischendurch rief er mehrmals im Institut an: Konrad Schwinn war nie da.
    »Ich weiß beim besten Willen nicht, wo er steckt«, meinte Juliet Ehrat. »Und wenn ich den Professor darauf anspreche, weicht er mir aus.«
    Der Kommissar versuchte es trotzdem wieder. Obwohl der Assistenzprofessor nicht auftauchte, wurden die Telefonate mit Frau Ehrat länger. Die anfänglichen Gespräche übers Wetter führten zu den gemeinsamen Vorlieben für alten Jazz und gutes Essen, und Eschenbach ertappte sich dabei, dass er insgeheim hoffte, Schwinn möge noch lange verschwunden bleiben.
    »Der Professor hat gesagt, dass ich Sie gleich durchstellen soll«, sagte Juliet, als er es das nächste Mal versuchte.
    »Okay.« Ob sie die Enttäuschung in seiner Stimme bemerkt hatte?
    »Bevor du noch hundertmal anrufst …«, sagte Winter. »Schwinn ist weg. Verschwunden, spurlos. Und ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, was ich davon halten soll. Ich habe abgewartet … aber jetzt wird die Sache langsam unheimlich.«
    Sie verabredeten sich für Viertel nach elf. Bevor der Kommissar sein Büro verließ, sah er noch einmal prüfend in den Spiegel im Wandschrank und probierte ein Lächeln.
    Mit dem Taxi fuhr er direkt bis zum Eingang des Hauptgebäudes. Winters Büro fand er, nachdem er zweimal jemanden danach gefragt hatte. Jetzt blickte er in ein leeres Sekretariat.
    »Sie ist beim Turnen!« Winter lachte, als er den Raum betrat und die Enttäuschung von Eschenbachs Gesicht ablas. »Wie du siehst, veranstalte ich hier ein Soloprogramm.«
    Sie setzten sich an den runden Besprechungstisch in Winters Büro.
    »Ich habe lange gezögert«, begann der Professor. »Aber Frau Dr. Sacher meinte, das ließe sich auch diskret angehen.«
    »Ach so?« Eschenbach fragte sich, was die Vorsteherin des Polizeidepartements des Kantons Zürich mit dem Fall zu tun hatte.
    »Sacher ist Mitglied des Beirats der ETH. Sie ist eine tüchtige Frau. Ich habe mit ihr gesprochen … sie meinte, du wärst der Beste für solche Sachen.«
    »Welche Sachen, Theo? Ich wäre froh, wenn ich etwas mehr darüber wüsste. Normalerweise verschwinden Assistenzprofessoren nicht

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