Eistod
angehaucht.
»Dann ist recht«, brummte der Kommissar.
Es war kaum Verkehr um diese Zeit. Und schon wieder schneite es. Nicht stark, auch nicht stürmisch. Aber man konnte es im Licht der Straßenbeleuchtung deutlich erkennen, wie einen Schwarm kleiner, weißer Mücken.
Beim Central fuhren sie über die Rudolf-Brun-Brücke in Richtung Limmatquai. Eschenbach schob den Unterkiefer vor und hauchte in die vorgehaltene Hand. Er versuchte seinen eigenen Atem zu riechen. Von den drei Fisherman’s-Pastillen, die er während des Duschens und der Taxifahrt gelutscht hatte, war seine Zunge ganz belegt. Und nachdem er sich selbst unentwegt angehaucht hatte, tränten ihm nun die Augen.
»Aber Badi Letten ist geschlossen um diese Zeit«, sagte der Fahrer, als sie sich dem Ziel näherten. »Hier haben Winter wie in Polen.« Er sprach mit einem östlichen Akzent.
»Das weiß ich«, murrte Eschenbach und sah auf die Uhr: »Wir haben den 12 . Januar, zehn nach zwölf.« Und nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: » 13 . Januar, also.« Beinahe hätte er laut herausgelacht: Freitag, der Dreizehnte – Badi Letten – kurz nach Mitternacht. Er kniff sich in den Unterarm, um sicherzugehen, dass er nicht träumte.
Drei Dienstwagen der Polizei standen kreuz und quer vor der Badeanstalt.
»Was hier los?«, wollte der Taxichauffeur wissen.
»Freitag, der 13 .? Immer Tanz der Vampire.« Der Kommissar zeigte seine Eckzähne; dann bedankte er sich und rundete den Rechnungsbetrag großzügig auf.
Sechs Polizisten, zwei Verliebte und eine Wasserleiche, reimte sich Eschenbach zusammen, nachdem ihn Korporal Wälti ausführlich orientiert hatte.
Das junge Paar glaubte zuerst, der Sack oder die Kutte eines Knecht Ruprechts hätte sich am hölzernen Badesteg verfangen. Erst als sie »es« herausfischen wollten, hätten sie gesehen, dass es sich um einen Menschen handelte.
Kurt Wälti, der den Notruf erhalten hatte, war mit seiner Kollegin Fiona Jungo gegen Viertel nach elf zur Badeanstalt gekommen. Dort hatten sie versucht, die Leiche aus der eiskalten Limmat zu hieven. Als ihnen dies nicht gelungen war, hatten sie via Polizeiruf Schaufelberger und Hänni verständigt, die dann um 23 . 32 Uhr eintrafen. Um 23 . 43 Uhr waren noch Kunzelmann und Levi dazugekommen; sie hatten sich zufällig in der Gegend aufgehalten. Mit vereinten Kräften war die Bergung gelungen.
Auf der Badeplattform lag ein halber Meter Schnee. Eine breite Schleifspur zog sich von der Treppe, die ins Wasser führte, durch den Schnee zum Toten. Ein massiger Körper in Jeans und schwarzem Anorak. Wie ein gefällter Baum lag er da. Sein kurz geschorener, bleicher Schädel hob sich kaum vom Schnee ab, der ihm am Gesicht klebte und den Körper wie eine Styroporverpackung umrahmte. Blutflecken waren keine auszumachen, auch keine Schrammen oder Wunden. Überall waren Fußspuren.
Ein einziger Blick in das Gesicht des Toten reichte dem Kommissar, um festzustellen, dass es sich nicht um Konrad Schwinn handelte. Alles Weitere würde der gerichtspathologische Befund zeigen. Kurz überlegte der Kommissar, ob es sich wieder um einen Obdachlosen handelte. Er vermochte es nicht zu sagen.
Zu den sechs Polizisten, die am Tatort herumstanden, miteinander sprachen oder rauchten und dabei helle Dunstschwaden in die Nacht hineinbliesen, waren nun auch noch drei Leute von der Spurensicherung gekommen. Walter von Matt, der alte Berner Kämpe, und zwei Assistenten.
»Tschou Äschi«, begrüßte von Matt den Kommissar. »Das ist aber ein Großauflauf hier.«
»Ich weiß«, sagte Eschenbach. »Endlich passiert was … und dann ist man froh, wenn man nicht allein ist.«
»Trotzdem, es sind zu viele«, kam es mürrisch vom schlaksigen Berner. »Das ist wie auf dem Jungfraujoch.«
Eschenbach lachte. »Schon recht.« Und zu Korporal Wälti, der neben ihm stand, sagte er: »Sie können vier Leute nach Hause schicken. Ich glaube, wir sind genug jetzt.«
Wälti blies in seine roten Hände und nickte.
»Und wenn von Matt hier fertig ist, dann überführen Sie die Leiche an das Gerichtsmedizinische Institut. Geht das in Ordnung?«
»Ja, mache ich.« Der Korporal, der sich immer noch in die Fäuste blies, zögerte einen Moment. Es sah so aus, als überlegte er sich, ob er nicht salutieren müsste. Dann steckte er die Hände in die Hosentaschen und wies mit dem Kinn in Richtung des Toten. »Soll ich ihn mit dem Auto? Ich meine …«
»Um Gottes willen …« Eschenbach sah den Korporal
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