Eistod
einfach so.«
»Ich würde dir ja gerne helfen … leider kann ich mir aber auch keinen Reim darauf machen, ehrlich. Wir haben alles überprüft: Verwandte, Freunde, Eltern …« Und nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: »Wenn ich spurlos sage, dann meine ich das auch so.«
An Winter war kein Herankommen, das spürte Eschenbach. Wenigstens nicht jetzt. Der Professor übergab ihm ein dünnes Mäppchen mit den wichtigsten Angaben zur Person Schwinns und betonte nochmals, wie wichtig es ihm sei, dass die Nachforschungen unter dem Deckmantel größter Diskretion erfolgten.
»Ich halte dich auf dem Laufenden«, sagte Eschenbach, bevor sie sich verabschiedeten.
Während er ging, blätterte der Kommissar in den Unterlagen. Vielleicht verlief er sich deshalb erneut in denselben Gängen, in denen er sich schon einmal verlaufen hatte. Und wie schon beim ersten Mal stand er plötzlich vor der Mensa.
Mit Salat, Bratwurst und einem Bier setzte er sich an ein Fenster und ging die Akte durch:
Wenn es wirklich Genies gab – und die Welt war leichter zu ertragen, wenn man daran glaubte –, dann war Konrad Schwinn eines. Wenigstens ein kleines: Mit neun Jahren erste Preise bei »Jugend forscht«, mit sechzehn Abitur. Studium der Biochemie an den Hochschulen in Teheran und Zürich; brillante Zeugnisse und ein Förderungsstipendium der Hoffmann-La Roche in Basel. Danach folgten Studien im In- und Ausland: Cambridge und Stanford, nur erste Adressen.
Eschenbach blätterte in den Unterlagen des Assistenzprofessors von Theophilius Winter. Es waren nicht die herausragenden Leistungen und das »summa cum laude«, die der Assistent scheinbar mühelos hingepfeffert hatte. Es war das Foto, das den Kommissar irritierte: Der Junge war hübsch; hätte mit seinen dunklen, halblangen Locken und dem ebenmäßigen Gesicht perfekt in eine dieser Fernsehserien gepasst, für die seine Tochter so schwärmte.
Als er durch war, zündete sich Eschenbach eine Brissago an und verlor sich einen Moment lang in den Seiten seiner eigenen Schulzeit: Er war kein schlechter Schüler gewesen damals. Etwas faul schon. Aber wenn’s darauf ankam, hatte es immer gereicht. Vielleicht lag es einfach nur daran, dass mit ersten und zweiten Ableitungen bei den Mädchen kein Blumentopf zu gewinnen war. Der Kommissar wusste nicht, ob er für Konrad Schwinn Achtung oder Unverständnis aufbringen sollte.
»Sie dürfen hier nicht rauchen«, flüsterte eine weibliche Stimme an seinem Ohr. Es war Frau Ehrat. Sie hatte ihre Hand auf seine Schulter gelegt; in der andern hielt sie einen Becher mit Birchermüsli und einen Plastiklöffel. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
Der Kommissar stand auf und rückte ihr einen Stuhl zurecht. »Soll ich uns noch einen Kaffee besorgen?«, fragte er.
»Lieber einen Tee.« Und als der Kommissar schon auf halbem Weg zum Buffet war, rief sie ihm nach: »Einen grünen, bitte!«
Es war kurz nach ein Uhr und die Mensa gestoßen voll. Der Kommissar drückte sich an einem Pärchen vorbei, das an der Kaffeemaschine mit Jetons hantierte. Aus der Küche drang das geschäftige Scheppern von Geschirr und an der Kasse stand eine Gruppe Studenten Schlange. Eschenbach entdeckte die kleine stämmige Dame, die ihm schon einmal mit dem Espresso behilflich gewesen war. Sie stapelte abgepackte Salatportionen in einen Glasschrank. Mit einem Erobererlächeln ging er auf sie zu.
»Könnten Sie mir nochmals …« Zum Lächeln kam ein Zehn-Franken-Schein hinzu.
Die Frau vom Service nickte.
Wenige Minuten später hatte sie alles fein säuberlich auf ein Tablett gestellt. Löffel, Zucker, Teebeutel, Milch.
»Haben Sie hier Beziehungen?«, fragte Frau Ehrat, die überrascht war, dass er so schnell wieder angerauscht kam. Sie hatte sich in der Zwischenzeit auf das Birchermüsli gestürzt und verdeckte mit der Hand den halb vollen Mund.
Eschenbach wusste bereits von ihren Telefongesprächen, dass Juliet Ehrat seit drei Jahren das Sekretariat des Professors leitete und eine Handelsmatura vorzuweisen hatte. Dass sie Pharmazie studiert und das Studium im vorletzten Semester abgebrochen hatte, war etwas, das sie ihm bisher verschwiegen hatte:
»Ich bin eine halb fertige Apothekerin mit einem Faible fürs Organisatorische …« Sie sah ihn verlegen an und zog die Nase kraus. »Aber ich fühle mich wohl hier«, betonte sie. Dass sie einfach Glück gehabt habe mit der Stelle, erwähnte sie mehrfach. »Schon beim Vorstellungsgespräch, der Professor hatte
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