Eistod
senkrecht hinauf ins trübe Dunkel.
Das Hotel lag auf einer einsamen Anhöhe mitten in der Landwirtschaftszone. Der Kommissar stellte seinen Wagen auf den Parkplatz, löschte das Licht und stieg aus. Nicht einmal ein Glühwürmchen hätte ihm unbemerkt folgen können. Während er noch eine Weile wartete und sich umsah, entdeckte er den silbernen Audi A 3 mit Bündner Kennzeichen. Das schneidige Wägelchen passt zu ihm, dachte er und fragte sich, wann er Claudio Jagmetti zum letzten Mal gesehen hatte.
26
»Claudio, du musst mir helfen.«
Eschenbach und sein ehemaliger Praktikant saßen im Restaurant des Hotels Panorama Resort & Spa am Fenster. Dort, wo sich bei Tageslicht und schönem Wetter ein gewaltiges Panorama zeigte, vom Zürichsee bis zu den Glarner Alpen, sah man eine schwarze Wand. Nicht einmal die Lichter des Ufers waren zu erkennen. Eschenbach seufzte.
Auf dem Tisch, der wie die übrigen mit einem apricotfarbenen Tuch bedeckt war, standen zwei Teller Spaghetti Vongole. Eine Kerze aus Bienenwachs flackerte. Es war ein Ort für Verliebte, für Wellnessverrückte und Fremdgeher. Und ein paarmal im Jahr quartierte sich die Schweizer Fußball-Nationalmannschaft hier ein. Doch selbst dann war es so ruhig wie am Montag in der Kirche.
Eschenbach hatte die Ellbogen aufgestützt und fixierte Jagmettis hellbraune Augen. Er kannte diesen Hundeblick von früher; die Liebenswürdigkeit, die von ihm ausging und die nichts, aber auch gar nichts von dem verriet, was der Polizei-Leutnant schon in jungen Jahren draufhatte.
»Das klingt tatsächlich seltsam«, sagte Jagmetti leise. Er blickte sich diskret um, als wollte er sichergehen, dass man am Nebentisch von ihrem Gespräch keine Notiz nahm. Offenbar hatte ihn ein Funke jenes Misstrauens erfasst, das Eschenbach seit zwei Tagen wie einen dunklen Schatten mit sich herumtrug.
»Und bist du dir sicher, dass es sich dabei nicht um einen Scherz handelt?«
»Ich bin mir bei gar nichts mehr sicher, Claudio«, sagte Eschenbach. »Das ist es ja. Spitzeleien sind wie Krebs. Wenn du davon hörst, nickst du, aber wenn es dich selbst trifft, ist es eine andere Geschichte.«
Jagmetti sah auf die zwei Teller Spaghetti Vongole, von denen bisher noch keiner einen Bissen gekostet hatte. »Ja, ich glaube, da ist was Wahres dran.«
»Bei Lenz bin ich mir sicher, dass er mit offenen Karten spielt … setzt sogar seine Pension aufs Spiel. Kein großer Happen zwar, aber es ist alles, was er hat.«
»Lenz ist pensioniert?«
»Ja, letztes Jahr. Kurz nachdem du nach Chur desertiertest.«
»Desertieren …« Jagmetti lachte laut heraus. »Ich bin ein Bündner … ein Geißenpeter mit Margerite hinterm Ohr und einer HC-Davos-Fahne im Schirmständer.«
»Ich weiß. Trotzdem … wegen dir hab ich jetzt diesen Pestalozzi am Hals.«
»Soso …« Jagmetti drehte Spaghetti auf die Gabel und schmunzelte.
»Natürlich nicht … aber eigentlich schon.« Eschenbach winkte dem Kellner. »Und überhaupt … ich nehm jetzt eine Flasche von diesem Roten.« Er zeigte auf einen Rotwein in der Karte. »Gehauen oder gestochen.« Der Kommissar erzählte Jagmetti die Geschichte mit Juliet. Zuerst etwas zögerlich. Aber nach ein paar dummen Sprüchen von Claudio kam die alte Vertrautheit wieder zurück; und mit der Vertrautheit auch die Details. Eschenbach rieb sich den Nacken. »Ich male mir plötzlich aus, man hätte sie auf mich angesetzt. Kannst du dir das vorstellen?«
Jagmettis Mundwinkel zuckten verdächtig.
»Lach nicht! Warum sollte eine junge Frau auf einen alten Knacker wie mich stehen?«
»Weiß ich auch nicht«, warf Claudio ein. Er machte ein unschuldiges Gesicht.
Eschenbach winkte ab, legte Gabel und Löffel quer über den leeren Teller und hielt nach der Dessertkarte Ausschau.
»Ich kenne viele Frauen, die stehen auf ältere Männer«, doppelte Jagmetti nach.
»Hör auf!«
Beim Dessert diskutierten sie die Lage und erwogen mögliche Szenarien. Die Bandbreite reichte von einer kleinen, selbst gestrickten Intrige bis zu einem international motivierten, terroristischen Komplott; gegen Zürich und gegen die Schweiz, gegen einen der bedeutendsten Finanzplätze der Welt.
»Wir fangen klein an«, sagte Eschenbach. »Lenz wird uns vermutlich morgen die erste Grundlage liefern. Dann sehen wir weiter.«
Claudio nickte nachdenklich. Nach einer Weile fragte er: »Warum stellst du den Jungen nicht einfach? Schau ihm in die Augen und rede Klartext.« Er wischte sich mit der Serviette
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