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Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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überrascht mich auch nicht.« Der Kern der Geschichte wurde mit einem geschwätzigen Überhang aufgemöbelt. Es war grauenhaft.
    Schwinn versuchte in den folgenden Stunden Winter auf dem Handy zu erreichen, erfolglos. Auch bekam er keine Antwort auf die SMS, die er dem Professor geschickt hatte. Was sollte er tun?
    Bis spät in den Abend las sich Schwinn durch die letzten drei Ausgaben des Journal of Biological Chemistry . Die erhoffte Ablenkung brachte es nicht. Vielleicht lag es aber auch an den Beiträgen; es war kaum etwas Weltbewegendes darunter.
    Der Anruf von Winter kam kurz nach elf. »Koni, ich hab’s mir überlegt. Wir müssen reden.«
    »Einverstanden.«
    »Aber nicht am Telefon.«
    »Wo dann?« Schwinns Augen blieben an der Zeitung hängen. »Dein Bild ist auf der Titelseite vom Blick . Du wirst gesucht, Theo!«
    »Du auch.«
    Schwinn stutzte. »Also gut. Was schlägst du vor?«
    Winter nannte eine Adresse in Celerina, im Oberengadin. »Ein Freund hat mir seine Wohnung überlassen. Am besten, du kommst gleich morgen früh hoch, dann sprechen wir über alles.«
    »Abgemacht«, sagte Schwinn.

    Am nächsten Tag, kurz nach zehn, stand Konrad Schwinn in Thusis. Der Julierpass war einzig Fahrzeugen mit Vierradantrieb und Schneeketten vorbehalten. Schwinn hatte beides nicht. Er musste warten und hoffen, dass er es auf einen der nächsten Autozüge der Rhätischen Bahn schaffen würde. Während er in seinem Wagen saß und es immer kälter wurde, zählte er die Fahrzeuge, die zwischen ihm und der Verladestation ebenfalls auf ein Weiterkommen drängten.
    Die Engadiner Sonne hatte ihren höchsten Stand längst erreicht, als Schwinn das Wohnhaus fand, in dem sich Winter versteckt hielt. Dr. Frank Hummer stand auf dem Klingelschild. Offenbar gehörte die Residenz dem Chef des größten Pharmakonzerns im Land. Beziehungen musste man haben, dachte Schwinn.
    Es war ein riesiges Haus, hell und modern. An den Wänden hing zeitgenössische Kunst im Großformat und im Kamin brannte ein Feuer.
    »Auf unser Wiedersehen«, begrüßte ihn Winter und entkorkte eine Flasche Veuve Clicquot.
    Schweigend tranken sie.
    Schwinn hatte ein ungutes Gefühl. Würde der Professor ihm diesmal eine Antwort auf seine Fragen geben? Nach einer Weile stellte er sein Glas auf den Sims beim Kamin, öffnete seine Mappe und nahm die Zeitung heraus. »Ist das wahr, Theo?«
    »Setzen wir uns doch erst einmal«, sagte Winter. Er ging zur großen Sitzgruppe, ließ sich in die hellen Kissen fallen und schlug die Beine übereinander.
    Schwinn, der ebenfalls Platz genommen hatte, wartete unruhig.
    Es geschah nichts.
    »Ich fahr doch nicht vier Stunden hier hoch, damit du mich anschweigst. Sag was, Theo!« Der Assistent saß lauernd auf der Couchkante.
    Der Professor drückte seinen kurzen Oberkörper in die hellen Kissenbezüge und sah zum Fenster hinaus. Ein weißes Schneefeld zog sich bis zur alten Pfarrkirche San Gian. Zwei Türme aus altem Stein reckten sich wie ein Geschwisterpaar in den makellosen Winterhimmel.
    »Der kleinere ist älter«, begann er leise. »Zusammen mit Teilen des Langhauses und des Chors stammt er aus der Zeit um 1100 . Später kam der große … du solltest mal reingehen. Eine wunderschöne Decke mit Spitzbögen, prächtig bemalt. Ein Meisterwerk des späten 15 . Jahrhunderts.«
    Schwinn rollte die Augen. »Sicher ist sie schön … du magst Kirchen, ich weiß. Aber das ist nicht das Thema.«
    »Doch das ist es«, sagte Winter. »Stell dir vor: Zur selben Zeit, als man hier solche Kunstwerke errichtete, hauste ganz Amerika noch in Tipizelten und schnitzte Marterpfähle.«
    »Das hat sich geändert, Theo.«
    »Nein, hat es eben nicht. Amerika ist bis heute ein Land der Barbaren.«
    »Worauf willst du hinaus?«
    »Die Kultur eines Landes erkennt man daran, wie es seine Feinde behandelt.« Winter hob das Kinn. »Es ist grauenhaft, mit welchen Holzhackermethoden man noch immer vorgeht.«
    »Dann ist es also wahr, was in der Zeitung steht.«
    »In der Zeitung steht überhaupt nichts.« Winter schüttelte energisch den Kopf. »Aber wenn es dich interessiert, kann ich dir erzählen, was NICHT in der Zeitung steht. Etwas über die verschärften Verhörmethoden der CIA zum Beispiel, die man im Frühjahr 2002 beschlossen hat.«
    »Erspar mir die Details, Theo. Ich will lediglich wissen, ob an dieser Geschichte etwas dran ist. Ob du mit drinhängst, Herrgott noch mal.«
    Winter hörte nicht zu. Er berichtete über die von der

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