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Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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Und wie viele solcher Dokumente hast du fürs Militär bisher übersetzt? Arabische, meine ich.« Winters Mundwinkel zuckten.
    »Keine.«
    »Siehst du? Auch wenn der Inhalt stimmt, grosso modo wenigstens, so hat es dieses Dokument in Wirklichkeit nie gegeben. Schon gar nicht auf Arabisch. Alles Bullshit!«
    »Meinst du?« Schwinn erinnerte sich daran, wie wichtig ihm dieser Auftrag vorgekommen war und wie stolz er insgeheim gewesen war, weil man ihn gebraucht hatte. Wer konnte schon Arabisch, an einem Heiligabend in Zimmerwald? Verlegen strich sich Schwinn eine Haarsträhne aus der Stirn. »Und was war deiner Ansicht nach der Sinn der Sache?«
    »Dass du es der Presse zuspielst, was sonst?« Winter lachte.
    »Ach ja?« Schwinn hob den Kopf. »Aber das hab ich nicht getan, Theo. Ich schwör’s dir, das war nicht ich!«
    »Schon klar«, sagte Winter ruhig. »Trotzdem, dass ein hochbegabter Assistenzprofessor mit Ambitionen auf einen ETH-Lehrstuhl diese Gelegenheit beim Schopf packen würde … so ganz abwegig ist der Gedanke nicht.«
    »Weiß nicht.«
    »Es war jedenfalls Teil ihres Kalküls … so denken die.« Der Professor schmunzelte, dann fuhr er mit ernster Miene fort: »Jetzt mussten sie’s selbst tun. Vermutlich werden sie versuchen, es dir in die Schuhe zu schieben.« Winter machte eine Pause.
    »Dann müssen wir zur Polizei, Theo. Das ist die einzige Möglichkeit, Klarheit zu schaffen.«
    »Für dich vielleicht.« Der Professor lachte kurz auf. »Nein, mein lieber Koni. Diese Option steht nicht zur Debatte. Dann ist das Spiel aus, für mich … für alle.«
    »Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Dann geh ich eben«, sagte Schwinn entschlossen. »Ich lass mich doch nicht zum Affen machen für Dinge, mit denen ich gar nichts zu tun hab.« Er wollte aufstehen.
    »Nein!« Winter hielt ihn fest. »Nicht jetzt!«
    Schwinn riss sich los. »Ich hab viel zu lange gewartet … mich immer wieder von dir vertrösten lassen, Theo!«
    »Warte!« Auch Winter stand auf. »Drei Tage … mehr brauch ich nicht. Dann kannst du tun, was du willst.«
    Schwinn zögerte.
    »Es ist ein Wettlauf mit der Zeit«, sagte Winter und fuhr sich mit der Hand über die kurzen, stoppeligen Haare. »Eschenbach ist klug. Er wird auch ohne deine Hilfe draufkommen.«
    »Es geht um die Liste, nicht wahr? Um die Proetecin -Studie«, sagte Schwinn. »Du weißt davon!«
    »Ja.«
    »Dann sag’s mir, ich will’s wissen!«
    »Es geht um Politik, Macht … und ums Versagen. Ein ganzer Apparat steckt dahinter. Mehr kann ich dir nicht sagen. Nicht jetzt.«
    Schwinn ging ein paar Schritte, sah hinaus auf das Schneefeld und die Kirche. Dann meldete sich sein Handy.
    »Was ist?«, fragte Winter.
    »Marc Chapuis.« Schwinn kannte die Nummer auf dem Display. Eine Weile sprach er mit dem Forschungsleiter, dann klappte er das Handy zu.
    »Und?« Winter sah fragend zu Schwinn. »Was meint er? Hat er eine Ahnung, weshalb die Affen eingegangen sind?«
    »Ja. In einem der Gehege gab’s über Nacht einen Stromausfall. Die Wärmeanlage ist ausgefallen … es wurde recht kalt. Chapuis meint, die Tiere sind deswegen tot. Erfroren, gewissermaßen.«
    »Es können doch nur ein paar Stunden …« Winter stockte. »Das ist unmöglich, Koni.«
    »Doch. Es betrifft nur die Tetrodotoxin-Affen, die andern haben überlebt. Es ist das Medikament. Chapuis meint, es besteht überhaupt kein Zweifel. Er hat’s im Labor getestet. Die Resultate zeigen, dass bei tiefen Temperaturen die Molekülverbindung der Substanz aufbricht. Dadurch geht unser verändertes Tetrodotoxin wieder in seine Ursprungsstruktur zurück …«
    »Ich glaub’s nicht …« Der Professor schüttelte den Kopf, ging langsam zum Fenster und drückte seine große Stirn ans kalte Glas. »Ich kann’s einfach nicht glauben.« Er wiederholte den Satz mehrmals und schlug dabei seinen mächtigen Kopf leicht gegen die Fensterscheibe. Dann sah er draußen das Mädchen. Auf einem Pferd galoppierte sie über das große Schneefeld in Richtung der Kirche San Gian. Sie wurde immer kleiner.
    »Es ist nicht dein Fehler«, sagte Schwinn.
    »Doch.« Winter drehte sich um. »Ich hätte es wissen müssen. Es ist die Kälte, sie macht alles kaputt.«

32
    Zuerst wusste Eschenbach nicht, wo er war.
    Die ungewohnten Geräusche, der Geruch, den er von irgendwoher zu kennen glaubte, und das Halbdunkel, das ihn umgab. Er rieb sich die Augen. Nach einer Weile dämmerte es ihm. Der Anruf von Corina und seine Fahrt ins Spital.

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