Eistod
Das lässt sich nur schwer sagen.«
»Und was heißt das?« Eschenbachs Erfahrungen mit bewusstseinserweiternden Drogen lagen dreißig Jahre zurück. Seither hatte er das Thema gemieden. Doch er musste wissen, womit er zu rechnen hatte.
»Amphetamine erhöhen die Konzentration der körpereigenen Botenstoffe im Gehirn: das Noradrenalin und Dopamin. Im Gegensatz zu Kokain, das lediglich die Wiederaufnahme der Botenstoffe in die präsynaptische Nervenzelle hemmt, dringen Amphetaminmoleküle direkt in die Nervenzelle ein. Sie bewirken dort die Freisetzung der Stoffe. Außerdem kommt es zur Ausschüttung von Adrenalin aus dem Nebennierenmark …« Der Arzt hielt einen Moment inne. »Das ist alles ein wenig technisch jetzt … aber so funktioniert’s.«
Der Kommissar fuhr sich mit der Hand über Kinn und Mund, nickte und dachte nach.
»In der Technoszene werden diese Psychostimulansien eingenommen«, fuhr Schwalb fort, »um nächtelang durchtanzen zu können. Alle Körperfunktionen, die zum Kämpfen oder Flüchten notwendig sind … Atmung, Blutdruck, Puls werden auf Hochtouren gebracht. Und durch die Noradrenalinfreisetzung im Gehirn kommt es zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und einem gesteigerten Selbstbewusstsein. Als sage einem jemand: Du bist okay – du wirst es schaffen! Eine beliebte Droge bei Studenten, um mit dem Prüfungsstress fertig zu werden. Übrigens auch bei manchen Ärzten …« Der Doktor lächelte. »Und weil sie Schmerzempfindung, Hunger- und Durstgefühle dämpft, funktioniert sie auch als Appetitzügler … gerade bei jungen Frauen.« Es kam ein leichter Seufzer. »Ein weites Feld, mit dem wir uns da herumschlagen, Herr Kommissar. Aber wem sag ich das … Sie sind schließlich Polizist.«
»Ja«, murmelte Eschenbach. »Als ob dies etwas nützte.«
»Wir tun alle unser Bestes.«
»Vielleicht.«
Der Arzt machte eine aufmunternde Geste mit dem Daumen. »Ihre Tochter bekommen wir schon wieder hin. Sie braucht jetzt erst einmal Ruhe. Und wenn es ihr wieder besser geht …« Schwalb brach mitten im Satz ab.
»Was dann?« Erwartungsvoll sah der Kommissar den Arzt an.
»Es liegt nicht in meiner Kompetenz, ich weiß: Aber vielleicht wäre es gut, Sie würden sich Zeit für sie nehmen. Ich glaube, Ihre Tochter braucht Sie.«
Eschenbach sah zur Decke. »Ja, kann sein.«
»Ich habe darüber auch mit Ihrer Frau gesprochen. Aber es liegt natürlich ganz bei Ihnen beiden.«
Der Kommissar nickte.
Der Arzt begann, die Krankenblätter zu einem Stapel zusammenzuschieben, als Zeichen dafür, dass er weitermusste. »Dieses Drogenscreening … ich meine, finden Sie da auch andere Substanzen? Nervengifte zum Beispiel?«
Schwalb stutzte. Dann schien es ihm einzufallen: »Tetrodotoxin, meinen Sie?«
»Ja, genau. Wie sind Sie jetzt darauf gekommen?«
»Das Drogenscreening, wie Sie es nannten … nun, da finden wir natürlich kein Tetrodotoxin. Das ist ein Standardverfahren. Wenn wir das Gefühl haben … oder auch Hinweise, dass der Patient unter Drogeneinfluss steht, dann machen wir das. Bei Verkehrsunfällen auch, oder eben bei jungen Leuten, die mitten in der Nacht in der Disco zusammenbrechen. Da liegt so was auf der Hand.«
»Ich habe das Tetrodotoxin gemeint. Warum wissen Sie davon?« Eschenbach durchlief ein kalter Schauer. »Ist Kathrin davon betroffen?«
Der Arzt wirkte plötzlich unsicher. »Nein, wir haben nichts gefunden.«
»Und warum haben Sie überhaupt danach gesucht?« Eschenbachs Stimme wurde lauter.
»Der Befund ist negativ. Sie können sich wieder beruhigen.«
»Ich beruhige mich einen Dreck!«, polterte der Kommissar. »Wenn Tetrodotoxin nicht auf der ganz normalen Checkliste … nicht Teil eines Standardprozederes ist, wie Sie sagen, warum zum Teufel suchen Sie es dann bei meiner Tochter?«
Der Arzt schwieg.
»Hatten Sie Fälle, bei denen Tetrodotoxin gefunden wurde?«
Wieder schwieg Schwalb. Und als er Anstalten machte aufzustehen, drückte ihn der Kommissar zurück auf seinen Stuhl. »Ich will Ihnen mal etwas sagen, Sie Arzt.« Eschenbach kochte. »Ich arbeite an einem Fall, in dem vermutlich eine ganze Reihe Leute an diesem Gift verreckt ist … und ob es Ihnen passt oder nicht, ich kann Ihnen das ganze Spital hier auf den Kopf stellen lassen!«
»Tun Sie das!« Schwalb nahm Eschenbachs Arm von seiner Schulter. »Und jetzt lassen Sie mich weiterarbeiten.« Er stand auf.
Der Kommissar erhob sich ebenfalls. Er überlegte, ob er sich dem Weißkittel in den Weg
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