Eiswein (German Edition)
sie harmonisch oder eher angespannt?« Schwarz machte eine kurze Pause, die jedoch verstrich, ohne dass Karl die Frage beantwortete. Er zuckte lediglich die Schultern.
»Sie sagten, Frau Neubauer sei vor ihrer letzten Abreise ziemlich gereizt gewesen. Lag es an der Beziehung zu Christoph Orthler, was meinen Sie?«, half er nach.
»Julia war immer sehr aufgedreht, wenn er bei ihr war. Sie war dann kaum zu bändigen und sprühte vor Energie. Wenn er sie längere Zeit nicht besuchte, wurde sie reizbar.«
»Und?« Braunagel machte sich Notizen.
»Vor ihrer Abreise war sie völlig durch den Wind. Der Stress mit ihrem Ex-Mann machte sie fix und fertig. Sie hatte auch ziemlich viel um die Ohren bis zum Ende der Hauptsaison. Sowas in der Richtung halt.«
»Wussten Sie, wohin Julia fahren würde, als sie sagte, sie müsse für ein paar Tage raus?«
Schwarz fixierte Karl erneut mit unbewegtem Gesicht, bis jener den Blick senkte und leise antwortete:
»Ja, ich wusste es. Aber nicht von ihr. Ich - ich hab einige Mails gelesen, die Julia an ihre Freundin geschickt hat.« Er schaute in die abwartenden Gesichter der beiden Beamten und versuchte es mit einer Erklärung: »Julia verbrachte plötzlich so viel Zeit am PC, dass ich neugierig darauf wurde, was sie da machte. Das kam mir komisch vor. Da hab ich heimlich ihre Mails gelesen.«
Braunagel nickte. Das konnte er nachvollziehen. Wahrscheinlich hatte Karl die meisten seiner Informationen über Julia und diesen Christoph ebenfalls aus heimlich gelesenen Mails. Der Kommissar wollte zunächst nicht danach fragen.
»Ich hab das vorher nie gemacht, bestimmt«, verteidigte sich Karl auch prompt.
»Okay, fassen wir zusammen«, sagte Braunagel, dem Karls Schnüffelei im Grunde genommen völlig gleichgültig war. »Sie wussten, dass Julia wegfahren wollte, machten sich Sorgen um ihre Verfassung, und wollten aus diesem Grund herausbekommen, was sie bewegte. Soweit richtig?«
Karl nickte.
»Was fanden Sie heraus?«
Einen Augenblick lang starrte Karl die beiden Polizisten überrascht an. Dann sank er merklich in sich zusammen.
»Renates Bruder hat Drogen genommen, bevor er den tödlichen Unfall damals hatte«, begann er stockend zu erzählen. »Das weiß ich, weil Renate in einer ihrer Mails davon erzählt hat. Sie schrieb, dass ihrer Schwägerin die Veränderungen an ihrem Mann aufgefallen waren, dass sie das aber auf den Stress zurückführte, den er kaum bewältigen konnte. Sie hat wohl erst wenige Wochen vor dem Unfall herausgefunden, dass ihr Mann kokste.«
Die beiden Kommissare ließen ihrem Zeugen Zeit, sich zu sammeln und dann weiterzureden.
»Ich hab mir zunächst nur überlegt, ob Julia auch was nahm, wo sie doch so fertig war, konnte aber nichts dergleichen feststellen. Ich meine, sie hat sich schon manchmal seltsam verhalten. Aber wie gesagt …« Er räusperte sich vernehmlich und rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. »Renate hat Julia mit den ganzen Mails den Floh ins Ohr gesetzt, dieser Orthler könnte vielleicht auch koksen, weil er sich ähnlich verhielt wie ihr Bruder vor dem Unfall. Sie haben sich deshalb in ihren Mails fast gestritten.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter.«
»Sind Sie ihr gefolgt?«
»Nein, sonst hätte sie ja gleich gewusst, dass ich ihre Mails gelesen habe. Außerdem musste ich im Hotel bleiben, weil noch ein paar Gäste da waren.«
»Vielen Dank«, schloss Braunagel das Gespräch und erhob sich. »Sie haben uns sehr geholfen. Dürfen wir uns wieder an Sie wenden, wenn wir noch Fragen haben?«
»Ja, natürlich.«
Die beiden reichten Karl Mauracher die Hand und verabschiedeten sich von ihm.
»Sie wissen noch nicht, wer das getan hat, oder?«, fragte Karl, als er bereits an der Tür war.
»Nicht sicher, aber langsam bekommen wir ein Bild davon, was für ein Mensch es gewesen sein muss, der dafür infrage kommt. Dabei haben Sie uns sehr geholfen, wirklich.«
»Gut.« Karl öffnete die Tür und ging hinaus. »Gut.«
Auf dem Weg zurück nach Würzburg hing jeder seinen eigenen Gedanken nach.
»Warum hast du ihm nicht gesagt, dass Christoph Orthler im Verdacht steht, Julia Neubauer umgebracht zu haben?«, unterbrach Schwarz schließlich die Stille.
»Weil ich nicht davon überzeugt bin, dass er es war.«
»Bist du nicht?«
»Nein, bin ich nicht. Und du wirst mir jetzt nicht sagen, dass ich aus purer Lust auf Opposition gegen die Zeller diese Meinung vertrete.«
»Wobei diese Vermutung äußerst naheliegend ist.«
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