Eiswein (German Edition)
dieser vermeintlichen Kokserei dranhängen sollen und bei wem, und was hätte sie davon gehabt? Das Ende einer erotischen Beziehung, die sie ihren Mails zufolge genossen hat? So ein Blödsinn.«
»Rache?«
Braunagel schüttelte energisch den Kopf.
»Rache? Wofür? Dass er ein paar Dates vermasselt hatte? Da rächen sich Frauen anders, soweit ich mich erinnern kann.« Und Braunagel erinnerte sich sehr gut. »Okay, und bei wem hätte sie deiner Meinung nach was über ihre Vermutungen verlauten lassen sollen, damit es ihm richtig geschadet hätte, wenn sie das denn wollte?«
»Hm.«
»Hm?«
»Genau so sieht es die Zeller jedenfalls«, erinnerte Schwarz ihn. »Verletzte weibliche Eitelkeit, mutmaßt sie. Es ging ihrer Meinung nach nicht nur um seine Absagen sondern darum, dass sie sich verarscht fühlte und sich dafür rächen wollte. Kapiert?«
»Und genau so war es eben nicht«, gab Braunagel zurück. »Das scheinen eher die Ängste der Zeller zu sein. Wo hätte Julia seine mögliche Kokserei so wirkungsvoll anbringen sollen, dass sie sich mit den Folgen für ihn an ihm gerächt hätte?«
Braunagel fuhr seinen PC noch einmal hoch und las das bisherige Protokoll aufmerksam durch.
»Die Begründungen für seine Absagen waren unglaubhaft für Julia geworden, das sehe ich wie du. Sie hatte sich zusammen mit ihrer Freundin in etwas hineingesteigert, aus dem sie meiner Meinung nach irgendwie wieder herauskommen wollte. Auch klar, oder?« Er warf einen Blick über den Bildschirmrand und hielt den Blick seines Kollegen für einen Moment fest. »Sie wollte sich für gar nichts rächen. Sie wollte Klarheit, keine Rache. Verstehen?«
Schwarz schüttelte den Kopf und widmete sich einem Stapel Unterlagen, der auf seinem Schreibtisch darauf wartete, bearbeitet zu werden.
»Irgendetwas hat der Orthler gesagt, irgendetwas hab ich gesehen, über das ich nachdenken wollte, was ein Aha-Dingens bei mir ausgelöst hat«, brummte Braunagel vor sich hin.
»Sagtest du bereits.«
»Diese Julia – also wenn sie sich rächen wollte, indem sie ihren Geliebten denunzierte – wobei ich einfach nicht weiß, warum sie das getan haben sollte: Wem hätte sie am ehesten davon erzählt, was sie über den Orthler weiß, um ihm zu schaden? Und wen hätte das so wütend gemacht, dass er sie ermordete und auf übelste Weise zurichtete? Den jungen Orthler etwa? Der sie dafür umgebracht hat?« Er hob den Zeigefinger wie ein Schüler. »Hallo Schwarz? Gib Laut!«
»In so einem kleinen Ort braucht man nur in der nächsten Kneipe ein paar Worte fallenzulassen. Spricht sich Nullkommanichts herum, so was.« Schwarz schwieg wieder einen Augenblick lang nachdenklich. »Aber keiner, mit dem wir gesprochen haben, hörte was in der Richtung, weder von ihr noch von sonst jemand. Nicht mal in jenem Café, in dem sie sich am Nachmittag vor ihrem Tod trafen, hat jemand gehört, dass irgendetwas in der Richtung gesagt wurde«, gab er dann zu.
»Ich denke, sie hat ihn wegen der geplatzten Dates ziemlich heftig angeschissen. Das mag ihn getroffen haben. Vielleicht lief da was ganz anderes, von dem wir alle nichts wissen. Keine Ahnung. Er sagte ja, dass er sich in die Enge getrieben fühlte. Aber sie deshalb erschlagen? So übel zurichten?«
Schwarz war inzwischen hinter Braunagel getreten und las über seine Schulter hinweg mit, was auf dem Bildschirm stand.
»Das mit den Drogen war da am Tor auch nicht ihr Thema. Er hat sie ab und zu versetzt, hat sie vielleicht auch belogen«, überlegte Braunagel laut weiter, um herauszufinden, ob ihn etwas an dieser Gedankenrichtung störte.
»Sie hat ihn eben doch geliebt.«
Braunagel fuhr herum.
»Das ist es!«
»Das ist was?«
Braunagel scrollte die Seiten ziemlich an den Anfang und tippte dann mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm. »Hier steht, dass er sagte: Warum hätte ich sie umbringen sollen? Sie war seit langer Zeit der erste und einzige Mensch, der mich mochte, wie ich war.«
Er wandte sich zu Schwarz um.
»Verstehst du?«
»Nein.«
»Er sagte nicht: Sie liebte mich oder wir liebten uns.«
»So drücken sich halt Männer aus«, versuchte Schwarz eine Erklärung. »Liebe ist doch den meisten von uns viel zu hoch gegriffen.«
»Du verstehst einfach nicht«, erwiderte Braunagel aufgebracht, der zu diesem Thema seine eigene Meinung hatte. »Darum geht es nicht. Er hat sie nicht umgebracht! Sie war das für ihn, was er lange Zeit gesucht und endlich in ihr gefunden hat. Sie mochte ihn, hat er gesagt,
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