Eiswind - Gladow, S: Eiswind
sie Georg besucht hatte, war ihr alles um sie herum plötzlich so irreal erschienen. Der Wein, Georgs Krise mit Sabine, seine ungewohnte Sanftheit, ihr Wunsch nach Nähe, das heiße Bad …
Anna schloss die Augen und zog ihre Knie so eng an den Körper heran, als wolle sie sich verstecken. Sie versuchte zu analysieren, was sie für Georg empfand, war aber nicht imstande, einen klaren Gedanken zu fassen.
Sie hatte sich nach diesem Abend derart schuldig gefühlt, dass sie ein Gefühl der Verliebtheit gar nicht zugelassen hätte. Und – war sie jetzt in Georg verliebt? Sie wusste es nicht.
Beide hatten die gemeinsame Freundschaft immer als etwas besonders Kostbares empfunden. Um keinen Preis der Welt hätte Anna diese aufs Spiel setzen wollen. Vielleicht war ihnen unbewusst immer klar gewesen, dass sie auf Dauer keine Zukunft gehabt hätten. Dafür schienen sie einander zu ähnlich. Beide waren ehrgeizig und nicht bereit, die selbst gesetzten Ziele zurückzustellen.
In Sabine jedoch hatte Georg eine Frau gefunden, die sich uneingeschränkt ihrer Mutterrolle widmete,
ihm den Rücken freihielt und ihre eigenen Bedürfnisse stets hintenanstellte. Sabine war genau die Frau, die Georg an seiner Seite brauchte, oder jedenfalls war sie es in der Vergangenheit gewesen.
Bei diesem Gedanken schlief Anna endlich ein.
31. KAPITEL
E r ist wie vom Erdboden verschluckt«, sagte Bendt und rieb sich seine müden Augen. Er saß Hauptkommissar Braun in dessen Büro gegenüber.
»Vielleicht hat sein gescheiterter Mordversuch die Serie durchbrochen«, riss Braun ihn aus seinen Gedanken. »Wer weiß, was das bei ihm ausgelöst hat.«
»Nein, wahrscheinlich ist es noch nicht vorbei. Wenn wir nur irgendeinen greifbaren Ansatz hätten, um ihn endlich zu kriegen!«
»Was haben wir denn?«, seufzte der Hauptkommissar. Sie hatten den Sachverhalt inzwischen unzählige Male durchgekaut, ohne nennenswertes Ergebnis.
Schließlich fasste Braun selbst zusammen: »Wir haben drei Frauen, die mit dem mutmaßlichen Täter im Internet Kontakt aufgenommen haben. Seine Ausdrucksweise weist auf einen höheren Bildungsgrad hin. Die Frauen haben bestätigt, dass er sich gewählt ausgedrückt und keine Rechtschreibfehler gemacht hat. Unser Täter ist also mit hoher Wahrscheinlichkeit Deutscher. Seine Taten sind geplant, er sucht Schutz vor Entdeckung.«
»Und nach den Angaben des psychologischen Sachverständigen deuten keine Hinweise auf eine schizophrene
Persönlichkeit hin«, ergänzte Bendt. »Aber warum wurde nicht Karen Seeland, die er beim Chatten kennengelernt hat, sondern ihre Freundin Sabrina Mertens zum Opfer des Täters?«
»Wahrscheinlich ist«, fuhr Hauptkommissar Braun fort, »dass der Täter Sabrina Mertens im Cube gesehen hat. Dafür spricht, dass Karen Seeland ihm diesen Treffpunkt vorgeschlagen und erwähnt hat, dass es sich um ihr Stammlokal handelt.«
»Vielleicht der Dürre aus der Bar?«, überlegte Bendt.
»Vielleicht«, antwortete Braun. »Vielleicht aber auch nur eine unbedeutende Randfigur, die sich durch Zufall ins Cube verirrt hat.«
»Dass der Täter Karen Seeland und Sabrina Mertens verwechselt hat, ist auch unwahrscheinlich«, mutmaßte Bendt.
»Sehr unwahrscheinlich«, bestätigte Braun. »Der Täter muss Sabrina Mertens über einen längeren Zeitraum beobachtet und ihre Lebens- und Laufgewohnheiten studiert haben. Wie sollte ihm da entgangen sein, dass es sich nicht um seine Internetbekanntschaft handelt?«
»Ich weiß es nicht«, seufzte Bendt resigniert. »Was, wenn der Täter Sabrina Mertens bereits kannte und sie nur durch Zufall im Cube wiedergesehen hat, als er eigentlich Karen Seeland beobachten wollte?«, fragte er dann.
»Es gibt nichts, was dafür sprechen würde«, gab Braun zu bedenken. »Wir haben Freunde befragt, wir haben die Eltern befragt, wir haben mit ihren Professoren
von der Uni gesprochen, und alle Ermittlungen haben uns keinen Schritt vorangebracht.«
»Was hältst du davon, wenn ich noch mal mit den Eltern von Sabrina Mertens spreche? Was, wenn wir viel weiter zurückgehen müssen? Vielleicht bis in ihre Kindheit?«
Hauptkommissar Braun schüttelte den Kopf. »Was soll das bringen?«, fragte er. »Wir haben sie bereits gebeten, uns alles zu berichten, was für uns von Bedeutung sein könnte. Wir haben darauf hingewiesen, dass auch die unwichtigste Begebenheit von Belang sein könnte.«
»Es ist ja nur ein Gefühl«, gestand Bendt ein. »Aber irgendetwas sagt mir, dass es etwas geben
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